Der Bertelsmann-Komplex
DÜSSELDORF Wer in NRW eine Frage an die Landesregierung hat und in der Staatskanzlei anruft, der landet mit hoher Wahrscheinlichkeit erst einmal bei Bertelsmann. Genauer gesagt, bei Arvato. Die Bertelsmann-Tochter übernehme „als erster Ansprechpartner eine Wegweiser-Funktion für Bürgerinnen und Bürger“, teilte das Unternehmen auf Anfrage mit. 15 Arvato-Bürgerberater in der Staatskanzlei bearbeiten demnach monatlich rund 20.000 Anrufe, rund 1500 E-Mails sowie rund 350 Faxe und Briefe. Es handele sich nur um vorgefertigte wiederkehrende Informationen, beschwichtigt die Landesregierung. Die Arvato-Mitarbeiter hätten keine eigene Entscheidungshoheit.
Wer sich in NRW bei der Landesregierung über das Projekt „Kein Kind zurücklassen!“(Kekiz) informieren will, der bekommt jede Menge Broschüren zugeschickt. Und obwohl es sich um ein zentrales Projekt von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) handelt, taucht die Landesregierung auf den Titelblättern der Broschüren nicht auf. Stattdessen ziert jede einzelne Broschüre das Logo der Bertelsmann-Stiftung.
Dass Bertelsmann die NRW-Landesregierung umfassend berät, ist nicht neu, aber vielen unbekannt. Obwohl die Piraten-Fraktion eine große Anfrage an die Landesregierung auf den Weg gebracht hat, die im Sommer 2016 in eine lebhafte Landtagsdebatte mündete.
Die enge Kooperation wirft nicht nur aus staatsrechtlicher Sicht Fragen auf. Die Landesregierung strapaziert damit auch ihre eigenen Prinzipien. Denn 2013 hatte sich Rot-Grün in NRW einen Public-Corporate-Governance-Kodex verordnet. Ziel dieser Leitlinie ist es unter anderem, durch mehr Öffentlichkeit und Nachprüfbarkeit das Vertrauen in Entscheidungen aus Verwaltung und Politik des Landes als Anteilseigner oder Beteiligter zu erhöhen.
Zudem orientiert sich das Handeln der Landesregierung nach eigenem Bekunden an Kriterien, die unter „Good Governance“zusammengefasst sind. Dazu zählen Transparenz – und die Bekämpfung der Einflussnahme Dritter. Dem trage die Landesregierung Rechnung, indem sie regelmäßig Auskunft über die Inanspruchnahme von Dienstleistungen gebe und die Expertise Dritter, versicherte die Staatskanzlei. Unter anderem eben auch durch Antworten zu großen und kleinen Anfragen.
Tatsächlich listete die Landesregierung in ihrer Antwort auf die große Anfrage der Piraten-Fraktion auf knapp 50 Seiten auf, was es an Kontakten, Kooperationen und Verträgen in den vergangenen zehn Jahren mit Bertelsmann gab.
Doch aus Sicht des Staatsrechtlers Christoph Degenhart bleiben wesentliche Fragen offen: „Es ist ein Problem, dass sich diese Zusammenarbeit in einer Grauzone abspielt und daran Vertreter maßgeblich mitwirken, die dem Volk nicht zur Verantwortung verpflichtet sind.“So führt die Landesregierung in ihrer Antwort etwa eine Reihe gemeinsamer Projekte auf, in die dritte Organisationen und Unternehmen einbezogen sind, auf deren Auswahl die Exekutive demnach keinen Einfluss hat.
Die Landesregierung weist den Vorwurf einer Grauzone entschieden zurück: Öffentliche Kontrolle durch das Parlament, wie sie sich unter anderem in kleinen und großen Anfragen widerspiegele, oder eine aufmerksame Presselandschaft trügen dazu bei, dass Verantwortung auch für ausgelagerte Prozesse im Bewusstsein bleibe „und nicht dem rechtsstaatlichen Verantwortungsgefüge entzogen“würde.
Degenhart jedoch kommt zu dem Ergebnis, dass die Antwort der NRW-Landesregierung auf die große Anfrage Transparenz schuldig bleibe, insbesondere auch hinsichtlich personeller Verflechtungen: „Am problematischsten ist es, wenn es personelle Überschnei-
„Es ist ein Problem, dass sich diese Zusammenarbeit in einer Grauzone abspielt“
Christoph Degenhart
Staatsrechtler