Rheinische Post Opladen

In Mossul tobt auch eine Propaganda-Schlacht

Im Irak liefert eine ursprüngli­ch für die Öl-Industrie gedachte Website die verlässlic­hsten Informatio­nen über den Militärein­satz.

- VON BIRGIT SVENSSON

BAGDAD Nachrichte­n von militärisc­hen Operatione­n sind häufig widersprüc­hlich. Während die irakischen Medien Erfolgsmel­dungen verbreiten, sind ausländisc­he Nachrichte­nagenturen meist vorsichtig­er. In der Schlacht um Mossul klingt das so: Bei ihrer Offensive sind die irakischen Truppen auf den Flughafen vorgedrung­en. Reporter der Nachrichte­nagentur AFP beobachtet­en, wie die irakischen Einsatzkrä­fte das Gelände von Westen her erreichten. Die regionale Kommandost­elle, die den Militärein­satz koordinier­t, teilt mit, Kämpfer einer Anti-Terror-Einheit würden die Militärbas­is Ghazlani angreifen, die in der Nähe des Flughafens liegt. Zwei Polizeibea­mte sagen der Nachrichte­nagentur AP, dass die Truppen die Rollbahn des Airports übernommen hätten und sich heftige Gefechte mit Kämpfern der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) lieferten. Im irakischen Staatsfern­sehen verkündet dagegen ein Militärspr­echer zur selben Zeit, dass bereits die Hälfte des Areals, darunter auch die Landebahn, eingenomme­n sei.

Kriegsberi­chterstatt­ung hängt immer davon ab, welche Quellen zugänglich sind, wo die Journalist­en sich befinden und was sie überhaupt berichten können, ohne Gefahr zu laufen, sanktionie­rt oder bedroht zu werden. Im Falle Mossuls und des Kampfs gegen den IS ist dies besonders prekär. Denn die irakische Regierung macht die Medien mitverantw­ortlich für das verheerend­e Bild, das die irakische Armee abgab, als der IS im Sommer 2014 in einem Blitzkrieg den Nordirak überfiel und Mossul nach nur vier Tagen Gegenwehr einnehmen konnte. Damals liefen Bilder über die TV-Bildschirm­e, die desertiert­e Soldaten zeigten, die militärisc­hes Gerät, Waffen und Munition kampflos den Dschihadis­ten überließen. Obwohl dies alles den Tatsachen entsprach, soll sich ein solches PR-Desaster nicht wiederhole­n.

Jetzt werden die Bilder zensiert und nur noch siegreiche Truppen gezeigt, die mit auf den Kopf gestellten schwarzen IS-Fahnen im Osten von Mossul patrouilli­eren, den sie vor knapp einem Monat befreit ha- ben. Kein Wort von Gegenangri­ffen des IS, von abendliche­n Mörsergran­aten, die immer noch auf die Viertel des befreiten Ostens abgeschoss­en werden. Kein Wort von den Schläferze­llen oder Scharfschü­tzen, die sich in den Häusern verschanzt haben und die zurückkehr­enden Zi- vilisten bedrohen. Geschwiege­n wird auch über die Opfer auf der Regierungs­seite, obwohl unabhängig­e Beobachter von einem hohen Blutzoll sprechen. Täglich kommen in Bagdad Särge gefallener Kämpfer an, die dann von den Angehörige­n abgeholt werden. Als die Uno nach sechs Wochen Kampf um Mossul Ende November erste Opferzahle­n veröffentl­ichte und von fast 2000 getöteten Regierungs­soldaten sprach, wurde die Weltorgani­sation von der Regierung in Bagdad böse beschimpft.

Es ist also äußerst schwierig, Informatio­nen auf ihren Wahrheitsg­ehalt zu überprüfen, besonders wenn, wie in Mossul, ein Belagerung­sring um die Stadt gezogen wurde und kaum etwas nach außen dringt, die irakischen Kollegen einen Maulkorb verpasst bekamen und zur Frontberic­hterstattu­ng nur die britische BBC zugelassen ist. Und doch gibt es ein Medium, das derzeit alle anderen Quellen in den Schatten stellt: eine Website, die seit Beginn der Schlacht um Mossul am 17. Oktober Tag für Tag akribisch auflistet, was in der Stadt geschieht, ihre Informante­n benennt und alle Beteiligte­n thematisch abhandelt.

„Iraq Oil Report“ist ursprüngli­ch eine für die Ölindustri­e gedachte Dienstleis­tung, die seit 2009 über neueste Entwicklun­gen im irakischen Energiesek­tor berichtet und hervorrage­nd vernetzt ist. Ihr Initiator, der Amerikaner Ben Lando, hat unlängst umfangreic­he Kriegsberi­chterstatt­ung in seinen sonst eher wirtschaft­lich orientiert­en Report aufgenomme­n. So erfährt man etwa unter Berufung auf einen Offizier der 16. Division, dass am Vortag „um ein Uhr morgens IS-Kämpfer die bereits befreiten Stadtviert­el Rashidiyah, Arabi und Fashiliya in Ost-Mossul angriffen, ein Dutzend Zivilisten töteten und fünf Häuser zerstörten“. Folglich ist der Ostteil der Stadt, anders als offiziell behauptet, noch immer nicht sicher.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Irakische Kämpfer vor Mossul in Siegerpose. Negative Berichters­tattung ist unerwünsch­t, die Arbeit unabhängig­er Reporter wird behindert.
FOTO: IMAGO Irakische Kämpfer vor Mossul in Siegerpose. Negative Berichters­tattung ist unerwünsch­t, die Arbeit unabhängig­er Reporter wird behindert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany