Die blühende Bundesstadt
Unsere Autoren sind auf Kajak-Tour durch das Land gezogen und erzählen anhand von Statistiken und besonderen Personen in den kommenden Wochen zwölf spannende Wahlkampfgeschichten aus Nordrhein-Westfalen.
BONN Wir beginnen unsere Flussfahrt durch NRW in der Bundesstadt Bonn, einstige Hauptstadt, Kulisse großer politischer Treffen und historische Universitäts-Stadt am Rhein. Bonn hat sich vom Mittelpunkt der Bundespolitik zum internationalen Standort für Forschung, Wirtschaft und Vereinte Nationen entwickelt. Daran hat auch die Landespolitik ihren Anteil.
Niedrige Arbeitslosigkeit, neue Arbeitsplätze, mehr Tourismus – Bonn liegt in vielen Rankings auf den vorderen Plätzen. Die Stadt musste sich in den vergangenen Dorothee Fiedler Jahrzehnten verändern, weil die Bundesregierung nach Berlin zog und nur sechs Ministerien ihren Hauptsitz in Bonn behielten. Anders als befürchtet, hat der Wegzug der Stadt nicht geschadet; darüber sind sich viele Politiker einig. Auch dank des Bonn-Berlin-Gesetzes von 1991, das Bonn den Sitz zahlreicher Bundesbehörden und -unternehmen wie etwa der Telekom und der Deutschen Post zusichert.
Als Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) 2015 als Bonn-Berlin-Beauftragte der Bundesregierung den Umzug der übrigen Ministerien anregte, setze sich die Landespolitik für den Verbleib in Bonn ein. „In Bonn gibt es eine starke Vernetzung der politischen Felder, die man nicht zerschlagen darf“, sagt Bernhard von Grünberg, Bonner Landtagsabgeordneter für die SPD. Vor allem im Bereich internationaler Zusammenarbeit haben sich mit der Uno oder der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit zahlreiche Organisationen angesiedelt. „Trotz dieser sehr positiven Entwicklung besteht immer die Gefahr, dass von Seiten der Bundesregierung das Bonn-Berlin-Gesetz unterlaufen wird und zunehmend Arbeitsplätze der Ministerien nach Berlin verlegt werden“, sagt die SPD-Landtagsabgeordnete Renate Hendricks. Dadurch werde die positive Entwicklung Bonns gefährdet. Ilka Freifrau von Boeselager (CDU) sieht das ähnlich: „Es gibt noch 20.000 Arbeitsplätze an den Ministerien. Die können nicht alle durch Bundesbehörden aufgefangen werden.“Der Rutschbahneffekt nach Berlin müsse beendet werden, findet auch Joachim Stamp, stellvertretender Vorsitzender der FDPLandtagsfraktion. Es müsse eine dauerhaft tragfähige Vereinbarung über die Arbeitsteilung zwischen Berlin und Bonn gefunden werden, „die die Funktion Bonns als faktisch zweiten Regierungssitz erhält“.
Zwei, die die Veränderungen in Bonn hautnah erlebt haben, sind Peter Weinreis und Dorothee Fied- ler. Weinreis war in den 1980er Jahren Fahrer von Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle. „Zu der Zeit war in Bonn fast jeden Abend eine Veranstaltung. Sitzungen, Vorträge, Empfänge“, sagt er. Die Fahrer warteten vor dem Regierungsgebäude. „Helmut Kohl zu begegnen, war da schnell nichts Besonderes mehr“, sagt Weinreis. Heute ist seine Hauptroute die von Bonn nach Brüssel. „Meine Arbeit ist weniger vielfältig als früher, dafür auch weniger stressig“, sagt er. Bei Fiedler war es umgekehrt. Mit 26 Jahren hat die Volkswirtin 1978 beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) als Hilfsreferentin angefangen. Heute ist sie dort Abteilungsleiterin für zentrale Dienste. In all den Jahren konnte sie verfolgen, wie sich ihr Ministerium verändert hat: vom kleinen Bereich zum wichtigen internationalen Vermittler. Die Bedeutung des BMZ zeigt schon das Gebäude, in das es nach dem Umzug der Regierung gezogen ist: das ehemalige Kanzleramt. „Manchmal komme ich mir vor wie eine arme Cousine, die zu einer reichen Erbschaft gekommen ist. Es ist schon etwas Besonderes, wenn so ein historisches Gebäude für so ein kleines Ministerium zur Verfügung gestellt wird“, sagt Fiedler. Zudem hätten sich viele für das BMZ wichtige Globalplayer in Bonn angesiedelt.
Anders als befürchtet sei Bonn nicht untergegangen, sondern international wichtiger geworden, sagt Weinreis. Über den Regierungssitz habe die Stadt sich ohnehin nicht so sehr definiert, findet Fiedler: „Bonn war eine bescheidene Hauptstadt.“Die Stadt stehe nun im Vergleich zu anderen Großstädten in NRW gut da – auch wegen der 1,4 Milliarden Euro Ausgleichszahlungen des Bundes. Fiedler: „ Kohl wollte eine blühende Stadt hinterlassen. Das hat er geschafft.“
„Helmut Kohl wollte eine blühende Stadt hinterlassen. Das hat er geschafft“ Abteilungsleiterin beim BMZ