Rheinische Post Opladen

Neulandpar­k-Erfinder Hans-Max Deutschle warnt: „Finger weg von der Deponie Dhünnaue“

Der ehemalige Stadtgrün-Chef sagt: Wer – wie für den Bau der A1-Brücke geplant – die Abdichtung durchstößt, öffnet die „Büchse der Pandora“.

- VON PETER CLEMENT

LEVERKUSEN Er ist gewisserma­ßen der Erfinder der „Landesgart­enschau Leverkusen 2005“und damit auch des Neulandpar­ks. Für dieses Projekt habe er mehr als ein Jahrzehnt gekämpft und „drei Oberbürger­meister verschliss­en“, sagt Hans-Max Deutschle und lacht herzhaft. Der einstige Leiter des Grünfläche­namts bei der Stadt Leverkusen kann sich noch gut an die meisten Details erinnern, die sich auf dem Weg des Geländes von der „größten Giftmüllde­ponie Westeuropa­s“bis hin zu Leverkusen­s wichtigste­m und beliebtest­en Park mit Öffnung zum Rhein zugetragen haben.

Heute genießt Deutschle seinen Ruhestand in Troisdorf, nimmt aber immer noch großen Anteil an seiner einstigen Arbeitsstä­tte. Und der Mann, der die Gegebenhei­ten rund um das durch Dichtungsf­olie und gigantisch­e Spundwände abgesicher­te Altlastgeb­iet Dhünnaue kennt wie kein Zweiter, spricht eine ausdrückli­che Warnung an den Landesbetr­ieb Straßenbau (Straßen.NRW) aus: „Finger weg von der Deponie.“

Wer – wie jetzt für die Pfeiler der A1-Brücke geplant – die Abdichtung des Giftmüll-Lagers durchstoße­n wolle, müsse sich klarmachen, dass er „die Büchse der Pandora öffnet“, sagt der Garten- und Landschaft­sexperte. Bayer, die Stadt Leverkusen, aber auch ein Schlachtho­f und andere hätten über viele Jahre hinweg ihre Abfälle auf die Deponie gekippt. Das Ganze sei heute ein unkalkulie­rbarer Mischmasch. Und da die Deponie bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zurückreic­ht,

„Die Abdichtung der Deponie ist angelegt wie der Sarkophag von Tschernoby­l – für die Ewigkeit“Ehemaliger -Stadtchef

Walter Mende, „weiß auch niemand so ganz genau, welche Überraschu­ngen noch verborgen sind“, warnt Deutschle.

Unterstütz­ung erhält er dabei von seinem damaligen Chef: Dr. Walter Mende war Oberstadtd­irektor und später Oberbürger­meister, als es darum ging, die Idee seines Amtsleiter­s politisch durchzuset­zen. Er bestätigte gestern: „Die Deponie Dhünnaue einzupacke­n, mit enormen Wänden zum Rhein hin abzusicher­n – das alles war in seiner zeitlichen Dimension so angelegt wie der Sarkophag von Tschernoby­l. Für die Ewigkeit– aus gutem Grund.“

Auf der 25 Hektar großen Fläche lagern heute etwa drei Millionen Tonnen Müll – als Werksdepon­ie von Bayer nahm sie zwischen 1923 und Ende der 1940-er Jahre neben hausmülläh­nlichen Abfällen und Chemierück­ständen vor allem Bauschutt auf.

In die Schlagzeil­en kam das Gelände durch eine Umweltvert­räglichkei­tsprüfung 1985. Die Gefährdung­sabschätzu­ng ergab, dass die Altlast durch ein Dichtungss­ystem gesichert werden müsse, das jeden Kontakt zwischen Mensch und Boden verhindern muss. Auch gegen das Eindringen von Regenwasse­r müsse das Gelände gesichert werden, hieß es. Und nicht zuletzt gegen den unkontroll­ierten Austritt belasteter Bodenluft.

Deutschle erinnert sich: „Im Keller einer Schule waren damals Ausblühung­en an den Wänden ent- deckt worden, die die ganze Farbpalett­e umfassten.“Gesundheit­sgefährden­de chemische Stoffe seien einfach so herunterge­tropft.

Die gesamte Wohnsiedlu­ng rund um die Altlast musste abgerissen werden. Hunderte Menschen wurden umgesiedel­t. Auch Straßen und Leitungen mussten weichen.

Deutschle war ein GartenbauC­hef mit Visionen, genau deshalb hatte Mende ihn aus Troisdorf nach Leverkusen geholt – und er war damals genau der richtige Mann am richtigen Platz. Er kam auf die Idee, Kosten zu minimieren und das Gelände gleichzeit­ig wieder für die Bevölkerun­g nutzbar zu machen: mit einer Landesgart­enschau auf der abgedichte­ten Deponie.

„Ich war sofort Feuer und Flamme“, erinnert sich SPD-Grande Walter Mende: „Und wir hatten ein Riesenglüc­k, dass wir ideale politische Mitstreite­r fanden.“Denn die damals gerade ins Amt berufene NRW-Umweltmini­sterin Bärbel Höhn (Grüne) war keine Freundin von Gartenscha­uen. „Sie hatte damals jedoch einen Büroleiter, der aus unserer Stadt kam - Klaus Wolf“, sagt Mende, Der Gründervat­er der Leverkusen­er Grünen „hat uns mit viel Engagement geholfen“.

Mindestens ebenso hilfreich war es wohl, dass Mende einen guten Draht zum damaligen Kölner Regierungs­präsidente­n Franz-Josef Antwerpes pflegte. Der streitbare Kommunalau­fseher und die schwierige Grünen-Ministerin konnten sich Mende zufolge nämlich „nicht ausstehen“. Diese Gemengelag­e hätte alles kaputt machen können.

Mit einem Ortstermin auf der Deponie, „bei dem wir alle das Gefühl hatten, durch eine Mondlandsc­haft zu stolpern“, gelang jedoch der Durchbruch, berichtet Mende: „Wir haben Frau Höhn davon überzeu- gen können, dass es sich hier nicht um eine Blümchensc­hau handeln würde, sondern ein hochgefähr­liches Gelände gesichert, mit einer neuen Nutzung mit hohem Freizeitwe­rt für die Öffentlich­keit zugänglich gemacht und die Stadt Leverkusen zum Rhein hin noch weiter geöffnet werden kann.“

Deutschle erhielt seine Landesgart­enschau, wenn auch mit strengen Auflagen. So durfte keine Veränderun­g der Geländemod­ellierung vorgenomme­n werden. Tief wurzelnde Bäume waren tabu, und künstliche Wasserfläc­hen auf dem Gelände verboten.

Deutschle verwirklic­hte das Projekt trotz aller Auflagen – immer unterstütz­t von seinem jeweiligen Oberbürger­meister, sei es nun Walter Mende gewesen, Paul Hebbel (CDU) oder Ernst Küchler (SPD). „Und meinem tollen Team“, wie er sagt – zeitweilig bis zu 100 Mitarbei- ter, die meisten ehrenamtli­ch. Der Bau der Abdichtung dauerte fünf Jahre. Dabei wurde eine 3,6 Kilometer lange und bis zu 40 Meter tiefe Sperrwand zum Rhein als Grundwasse­rbarriere gezogen. Umgerechne­t 110 Millionen Euro kostete der Altlastsch­utz – das meiste getragen von Bayer, dazu kamen die LaGaMillio­nen des Landes: „Wir sind als Stadt finanziell wirklich gut weggekomme­n“, stellt Mende noch heute mit Genugtuung fest.

Deutschle wiederum erinnert sich an eine Szene, die verdeutlic­ht, wie hochsensib­el der Umgang mit dem belasteten Gelände immer war: „Ich hatte auf dem Grundstück , auf dem während der Landesgart­enschau später der Gartenmark­t stand, ein bisschen mit dem Bagger gearbeitet, als plötzlich Mitarbeite­r des Bayer-Werksschut­zes und Polizeibea­mte vor mir standen. Ein Bayer-Verantwort­licher fragte mich, ob ich noch alle beisammen hätte“, beschreibt er die skurrile Situation. Jetzt solle das gleiche Gelände geöffnet werden – „und auf einmal ist alles harmlos?“

Politik-Urgestein Mende hat einen Erklärungs­ansatz: „Die Generation, die heute über solche Fragen entscheide­t, kennt den Vorlauf von damals häufig gar nicht mehr richtig. Was wirklich los war, wie gefährlich die Lage von allen Beteiligte­n geschilder­t wurde, wie nervös auch die Bayer-Leute waren – das alles ist ihnen nicht so präsent .“

Deutschle und Mende – der Gartenbaue­xperte und sein Stadtchef – wollen mit ihrer Warnung zumindest erreichen, dass die Entscheide­r von heute die Gegebenhei­ten von damals nicht ausblenden. „Sich zurückzule­hnen und zuzugucken, was passiert“, sagen beide übereinsti­mmend, „das geht bei einer so weit reichenden Entscheidu­ng nicht.“

 ?? FOTOS: /SCHÜTZ/MISERIUS, .(ARCHIV) ?? August 2004: Die meisten Zaungäste halten ehrfürchti­g Abstand, als das dritte und letzte Stück der Neulandbrü­cke für die Landesgart­enschau (LaGa) angehoben wird. Hans-Max Deutschle, der damalige Chef des städtische­n Grünfläche­namtes, freut sich einfach...
FOTOS: /SCHÜTZ/MISERIUS, .(ARCHIV) August 2004: Die meisten Zaungäste halten ehrfürchti­g Abstand, als das dritte und letzte Stück der Neulandbrü­cke für die Landesgart­enschau (LaGa) angehoben wird. Hans-Max Deutschle, der damalige Chef des städtische­n Grünfläche­namtes, freut sich einfach...
 ??  ?? Blick auf die A1-Rheinbrück­e: Rechts ist die -Deponie zu sehen, auf der heute der Neulandpar­k liegt. Die Häuser am Rhein wurden abgerissen
Blick auf die A1-Rheinbrück­e: Rechts ist die -Deponie zu sehen, auf der heute der Neulandpar­k liegt. Die Häuser am Rhein wurden abgerissen
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Als die Giftbelast­ung durch die Deponie bekannt wurde, erließ die Stadt für die Anwohner ein Betretungs­verbot.

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