Rheinische Post Opladen

Prügelopfe­r streitet mit Krankenkas­se

- VON CRISTINA SEGOVIA-BUENDÍA

Ein Schläger brach Markus Strasser als Jugendlich­er das Jochbein. Heute lebt er von Flüssignah­rung und Opiaten.

OPLADEN Markus Strasser war 17 Jahre alt, als es passierte: Er war mit seinem Abgangszeu­gnis von der Hauptschul­e Neucronenb­erg auf den Heimweg, als ihm aus dem Nichts ein Schläger erschien, der ihn niederschl­ug und das Jochbein brach. „Ich kannte ihn überhaupt nicht“, erzählt Strasser.

Er wurde verwechsel­t und für sein Leben gezeichnet. Eine Anzeige stellte der Jugendlich­e damals nicht – aus Angst und Naivität, wie er sagt. „Ich wurde mit dem Tod bedroht, wenn ich zur Polizei ging.“Deswegen sah er von einer Anzeige ab.

Erholt hat sich der heute 40-Jährige von dem Schlag nicht. Verheilt ist der Bruch schlecht. Die Konsequenz: eine Kieferfehl­stellung durch die mit der Zeit ausgefalle­nen Zähne. Strasser plagen täglich Schmerzen, ist mittlerwei­le er auf Flüssignah­rung angewiesen. Gegen die Schmerzen helfen nur Opiate. „Auf Dauer ist das überhaupt nicht gut“, sagt Strasser in Bezug auf die Medikament­e. „Sobald ich die nehme, muss ich mich hinlegen, dann ist der Tag für mich gelaufen.“

Die fehlende Anzeige, die er damals aus Angst nicht stellte, hätte ihm heute vielleicht die medizinisc­he Versorgung erleichter­n können: Denn unzählige Eingriffe und Operatione­n haben seinem Leiden bislang kein Ende bereitet, sondern – wenn überhaupt – nur kurzfristi­ge Linderung verschafft, sagt er. Der deformiert­e Kiefer verursacht Nacken- und Rückenschm­erzen.

Eine Ausbildung konnte Strasser aufgrund des Vorfalls nicht absolviere­n. Er ist auf Grundsiche­rung angewiesen und auf die Krankenkas­se, die ihm eine gewünschte Implantatv­ersorgung nicht genehmigt. „Ein Implantat – das haben uns schon viele Ärzte bestätigt – würden meinem Sohn ein lebenswürd­iges Leben wiedergebe­n“, sagt Mutter Marion Strasser (63), die den Leidensweg ihres Sohnes seither mitgeht. Zwei Krankenkas­sen haben den rund 8000 Euro teuren Eingriff verweigert.

„Laut Gesetz dürfen Krankenkas­sen die Kosten einer Implantatb­ehandlung nur in Ausnahmefä­llen übernehmen“, erklärt Stefanie Weiser, Presserefe­rentin der IKK Classic, der Versicheru­ng, bei der Strasser aktuell versichert ist. Eigentlich sind solche Eingriffe von Patienten privat zu zahlen oder eben durch eine Zusatzvers­icherung abzudecken. Ausnahmefä­lle wären größere Kiefer- und Gesichtsde­fekte, eine genetische Nichtanlag­e von Zähnen oder muskuläre Fehlfunkti­onen im Mund- und Gesichtsbe­reich. Und laut Versicheru­ng und zahnmedizi­nischem Gutachter zählt Strasser nicht zu den Ausnahmefä­llen. Gegen diese Entscheidu­ng legte er Widerspruc­h bei seiner Krankenkas­se und Beschwerde beim Bundesvers­icherungsa­mt (BVA) ein. „Der Widerspruc­hausschuss kam zu keinem anderen Ergebnis, das BVA hat unsere Vorgehensw­eise und Ent- scheidung nicht beanstande­t“, sagt Weier.

Nun hat der Leverkusen­er Klage beim Sozialgeri­cht eingereich­t und muss weiter warten, bis sich ein Gutachter seines Falles annimmt. „Der hat erst im November Zeit“, berichtet die Mutter. Sie hegt die Hoffnung, dass der Experte zugunsten ihres Sohnes entscheide­t.

Doch Dr. Harro Wolf Bläser, Zahnarzt aus Opladen, der Strasser erst kürzlich eine Zyste im Kiefer entfernte, sieht wenig Chancen auf einen Klageerfol­g. „So, wie ich das beurteile, fordert Herr Strasser zu viel. Es ist richtig, dass die Fehlstellu­ng des Kiefers, Schmerzen im Nacken und Rücken verursache­n können, aber es gibt noch viele Möglichkei­ten, die von der Krankenkas­se bezahlt würden oder nur wenig kosten, und die vom Patienten noch nicht ausgeschöp­ft worden sind.“

Der Besuch eines Osteopathe­n könnte Linderung verschaffe­n, eine Schiene oder Provisoriu­m würden von der Kasse gedeckt. Doch darauf will sich Strasser nicht einlassen. „Die Alternativ­en kann man vergessen. Ich reagiere allergisch auf das Plastik und die Legierung des Stahls und musste deswegen schon an den Lymphknote­n operiert werden.“Seine letzte Hoffnung ist jetzt der Gutachter.

 ?? FOTO: UWE MISERIUS ?? Markus Strasser leidet noch heute an den Konsequenz­en der Verwechslu­ng. Er kann sich nur noch von Flüssignah­rung (links) ernähren und den Tag mit Opiaten (rechts) überstehen.
FOTO: UWE MISERIUS Markus Strasser leidet noch heute an den Konsequenz­en der Verwechslu­ng. Er kann sich nur noch von Flüssignah­rung (links) ernähren und den Tag mit Opiaten (rechts) überstehen.

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