Auf der Suche nach dem wahren Mike
Mike Tyson (51) ist ein großer Boxer, dann stürzt er ab. Heute will er Drogensucht und Schulden besiegt haben. Sein Image als „Baddest Man on the Planet“verkauft er live auf der Bühne. Jetzt war er in Düsseldorf.
DÜSSELDORF Pascal macht keine großen Worte. Er lässt seine Hosen sprechen. MIKE TYSON steht darauf. Pascal ist 21, kommt aus Duisburg und ist selbst Boxer. Warum er Mike Tyson mag? „Einfach sein Auftreten, seine Art“, sagt er. Er wirkt ein bisschen aufgeregt. Er sieht Tyson heute zum ersten Mal live. Und vielleicht auch zum letzten Mal.
Mike Tyson – dieser Name ist heute wie ein Mantra im CineStar in Düsseldorf-Lörick. Die Gäste sagen niemals „Tyson“, sie sagen „Mike“, manchmal auch „Iron Mike“. Sie tragen Jogginghosen und Tattoos, enge Shirts und gewaltige Muskelpakete, teils auch Anzüge, die ein kleines bisschen zu blau sind. Auf neun Männer kommt eine Frau.
Mike Tyson ist auf „Champions Tour“. Zehn Shows in zwölf Tagen, in Deutschland, Österreich und der Schweiz. 99 Euro kostet heute Abend das günstigste Ticket, 349 Euro das teuerste. Dafür gibt es ein garantiertes Selfie mit dem Champ. Ab viertel nach sieben werden die Selfie-Berechtigten von einem Mo- Frank Nöthel derator Reihe für Reihe durch eine Tür gelotst. Es gibt ein Foto pro Coupon. Mike Tyson posiert an diesem Abend für etwas mehr als 450 Selfies. Danach braucht er erst mal eine Viertelstunde Pause.
Vor dem Kino wird geraucht. Man sieht viele Gesichtstattoos. Kurt (55) und sein Freund Ryan (37) sind extra aus dem englischen Leicester angereist. Ryan sagt nach jedem dritten Satz „innit?“, frei übersetzt: „wollnich?“. „Ich mag einfach den Sport, innit? Und Mike ist eine Legende. Wir waren schon in Vegas bei seiner Show. Er darf ja nicht mehr nach England kommen, wegen seiner Verurteilung.“
Sechs Jahre hat Tyson bekommen, drei abgesessen – wegen Vergewaltigung einer Schönheitskönigin. „Man nimmt ihm diese Geschichte schon übel“, sagt dagegen Sybille Nöthel, 56 und echte Lörickerin. Das Ticket hat sie zum Geburtstag von Sohn Frank (27) bekommen, „weil ich einfach ein riesiger Fan bin“. Daran hat auch die Verurteilung nichts geändert. 1996 hat sie Tyson vs. Bruno in Las Vegas gesehen, direkt nachdem Tyson aus dem Knast kam. Frank: „In den 90ern haben mich meine Eltern manchmal um vier Uhr früh geweckt, damit wir die Kämpfe im Fernsehen anschauen konnten.“Er kennt Tysons US-Bühnenprogramm aus dem Internet. Eine tolle Mischung aus Humor und Tragik sei das, sagt er. Mike Tyson pur. Er erwartet heute Abend ähnliches. Es soll nicht ganz so kommen.
Den tschechischen Veranstaltern war es offensichtlich zu riskant, Tyson unbeaufsichtigt ins Scheinwerferlicht zu stellen. Deshalb bekommt er einen Moderator an die Seite, der Fragen in einer festen Reihenfolge vorliest. Mike Tyson antwortet stets wie aus der Pistole geschossen. Der Dialog wirkt eingeübt, inklusive Pausen für Gelächter und Applaus. Ein „Wortgefecht“hatte der Moderator versprochen, in dem es um die „großartigen und die traumatisierenden“Momente in Tysons Leben gehen werde. „Ihr werdet den wahren Mike erleben!“Aber will das hier überhaupt jemand?
Der wahre Mike Tyson war ein Boxtalent, das schneller und härter zuschlug als alle anderen. Mit 16 holte er zum ersten Mal olympisches Gold der Junioren. Seine ersten 19 Profikämpfe gewann er durch Knockouts, zwölf davon in der ersten Runde. 1986 wurde er mit 20 Jahren der jüngste HeavyweightChampion der Welt, was er bis heute geblieben ist. Später hielt er als erster Schwergewichtler gleichzeitig die Meistertitel aller drei Verbände.
Der wahre Mike Tyson ist aber auch ein vaterloser Junge aus Brooklyn, der mit zwölf Jahren bereits über 30 Mal wegen teils schwerer Verbrechen verhaftet worden war und aus dem wahrscheinlich ein Räuber, Zuhälter oder Drogendealer geworden wäre, wenn er nicht zufällig von seinem Boxtrainer von der Straße geholt worden wäre. Für einige Jahre lenkte der Mikes Wut in geordnete Bahnen. Als er starb, ging es noch etwas bergauf – und dann steil bergab. Tyson hurte, trank und kokste. Er gab all sein Geld für Autos, Flugzeuge, Gold und Tiger aus. Er wanderte in den Knast. 1997 biss er Evander Holyfield ins Ohr und verlor für einige Zeit seine Boxlizenz. „Schmeckte scheiße“, sagt er auf der Bühne. Gelächter. Der Niedergang des Mike Tyson endete mit Schulden in Millionenhöhe. „Ich habe 15 Jahre lang den Gürtel sehr eng geschnallt.“Heute sei er schuldenfrei und nehme keine Drogen mehr. Alles dank Ehefrau Kiki. „Seither läuft alles glatt.“
Glatt – so klingen die Geschichten, die auf der Bühne erzählt werden. Zwar fragt der Moderator auch
„Meine Eltern haben mich um vier Uhr geweckt, damit wir die Kämpfe anschauen“ Fan „Ich habe 15 Jahre lang den Gürtel sehr eng geschnallt“
Mike Tyson nach schwierigen Themen – etwa dem Unfalltod von Tysons damals vierjähriger Tochter oder seiner Beziehung zum umstrittenen Boxpromoter Don King. Doch eine wirklich ehrliche Abrechnung ist das Ganze natürlich nicht. Tyson sei unschuldig ins Gefängnis gegangen, sagt der Moderator. Holyfield gebissen habe er nur, sagt Tyson, weil der ihn immer wieder ins Gesicht gestoßen habe. Tyson verkauft an diesem Abend sein Image als „Baddest Man on the Planet“– ein umgangssprachliches Kompliment für eine Mischung aus dem „miesesten“und dem „härtesten“Kerl der Welt –, der aber gleichzeitig an nichts so richtig schuld gewesen sein will.
Und das kommt an. Mit Standing Ovations wird Tyson begrüßt und am Ende auch wieder entlassen. In einer Auktion wechseln Merchandising-Artikel für 13.000 Euro den Besitzer.
Dann ist alles vorbei, und die Zuschauer drängeln sich nach draußen, wo auf Tischen die ausgedruckten Selfies liegen. „War super“, sagt Sybille Nöthel, wohl größter Tyson-Fan Löricks, und schaut etwas ratlos auf die 400-MannSchlange. War das jetzt der wahre Mike Tyson? „Ich habe das schon so empfunden.“