Offene Rechnungen und Stilfragen
Nach Duellen mit dem FC Schalke sah sich die Borussia zuletzt meist als die spielerisch bessere, aber benachteiligte Mannschaft an. Die Fohlen fordern heute Revanche, während S04 die Champions League klarmachen will.
MÖNCHENGLADBACH Wahrscheinlich war es nur ein Loch im Rasen, vielleicht aber auch die Schnauze eines neugierigen Maulwurfs. Jedenfalls prallte der Ball, geschossen vom Schalker Leon Goretzka, recht seltsam vom Boden ab und hoppelte über den Arm von Yann Sommer, Torhüter bei Borussia Mönchengladbach, hinweg ins Tor. Das war das 1:2 der Schalker im März 2017 im zweiten Europa-League-Achtelfinale – und der erste Schritt für die Blau-Weißen in die nächste Runde. Das letztendliche 2:2-Remis reichte. Für die Gladbacher ist die Szene ein Teil jener Schalke-Geschichte der jüngeren Vergangenheit, die Trainer Dieter Hecking nun sagen ließ: „Es gibt offene Rechnungen.“
Das klingt nach Ärger und Missstimmung, doch geht es einfach darum, dass die Borussen gefühlt immer ein bisschen besser waren als der Konkurrent aus dem Ruhrpott, gleichwohl aber nicht siegten. Die Maulwurf-Theorie, ein seltsamer Elfmeter, dann, im Hinrunden-Spiel dieser Bundesligasaison, ein Eigentor der Gladbacher und ein zurückgenommener Strafstoß – das sind die Indizien, die Hecking zu seinen Schlussfolgerungen kommen lassen. „Wir haben in den zurückliegenden drei Partien gegen Schalke nicht verloren, aber auch nicht gewonnen. Es waren immer enge Spiele, in denen wir uns fast immer ein bisschen benachteiligt gefühlt haben – im Europokalspiel hier zu Hause und auch im BundesligaHinspiel“, so Hecking. „Letzteres war vielleicht ein kleiner Knackpunkt für uns. Wenn wir diese Begegnung gewonnen hätten, weiß ich nicht, ob der Saisonverlauf nicht ein anderer gewesen wäre.“
Dass die Borussen zudem der Meinung sind, die Schalker hätten etwas mehr Spielglück gehabt als sie selbst, kommt hinzu. „Die Schalker spielen eine großartige Saison“, sagte Manager Max Eberl. „Wie sie ihre Punkte holen, ist bemerkenswert.“Der extreme Pragmatismus der Mannschaft von Domenico Tedesco ist damit gemeint, wohingegen Heckings Borussen mit der Effektivität so ihre Probleme haben – und auch deswegen bislang 13 Punkte weniger holten als die Schalker.
Gerade dieses Duell taugt für eine Stil-Debatte, die, aus Sicht der Erfolgreichen, immer auch als NeidDebatte daherkommt. „Eine Mannschaft mit viel Struktur trifft auf eine Mannschaft, die Fußball spielen will“, merkte Eberl an. Gladbachs Verteidiger Jannik Vestergaard befand, dass „die nicht besser sind als wir“. Dass die Schalker in allen Anklagepunkten ganz anderer Meinung sind, ist logisch. Sein Schalker Pendant Naldo stellte klar: „Glück ist das nicht. Zum Glück gehört auch, dass wir Leistung zeigen.“
Beim 3:0 gegen Wolfsburg war das zuvor holprig gewordene Borussen- Tiki-Taka wieder in voller Schönheit zu besichtigen, zumindest vor der Pause. Auf ihre Spielweise sind die Gladbacher stolz. Schalke hingegen steht hinten sehr sicher und hat in der Offensive echte Mittelstürmer, die tun, was Mittelstürmer tun sollten: Chancen eiskalt nutzen.
Vor allem aber ist Schalke auf dem Weg in die Champions League, die mit einem Heimsieg heute fix gebucht wäre, während die Borussen nur noch geringe Chancen haben auf eine Europa-Tour in der neuen Saison. Da ist dann wieder die Gretchenfrage des Fußballs: Das schöne Spiel oder der Erfolg, was ist wichtiger? Beides soll es bestenfalls sein, das werden die Fans auf Schalke und in Gladbach sagen, doch am Ende liegt die letzte Wahrheit doch eher in der Tabelle. „Nichts ersetzt Siege“, weiß auch Hecking.
Ein Sieg wäre für sein Team ein Ausrufezeichen im Schlussspurt. Wobei es den Borussen auch darum geht, ihr „Ding“zu machen, also gut zu spielen. Gelingt das, gepaart mit Erfolg wie gegen Wolfsburg, wäre die offene Rechnung wohl beglichen. Misslingt es aber, dürfte es schon wieder vorbei sein mit der gerade wieder aufgekeimten Hoffnung, vielleicht noch Frankfurt oder Leipzig, die beiden Konkurrenten, die über den Borussen wankelmütig scheinen, abzufangen. Um das zu schaffen, würden die Borussen auch die Hilfe eines Maulwurfs in Anspruch nehmen.