Rheinische Post Opladen

Fromm und rebellisch

Auf dem 82. Deutschen Katholiken­tag in Essen schlugen 1968 die Wellen der Empörung hoch. Vor allem gegen die „Pillen-Enzyklika“von Papst Paul VI.

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chen hatte? Die Reaktion aus Deutschlan­d kam schnell, aber zweideutig. In der „Königstein­er Erklärung“der deutschen Bischöfe zur Enzyklika konnte man – wenn man wollte – herauslese­n, dass die Pille auch Katholiken erlaubt sei. Und in der aufgeheizt­en Stimmung neigten nicht wenige zu dieser Interpreta­tion. Für etwas mehr Ruhe auf dem Essener Katholiken­tag aber reichte das nicht. Zumal die Katholiken­tags-Botschaft des Papstes nicht gerade Gesprächsb­ereitschaf­t signalisie­rte. Im Grußwort Pauls VI. hieß es: „Nicht wenige nehmen heute für sich die Freiheit in Anspruch, ihre rein persönlich­en Ansichten mit jener Autorität kundzutun, die sie offensicht­lich dem streitig machen, der von Gott dieses Charisma besitzt. Man möchte gern erlaubt wissen, dass jeder in der Kirche meinen und glauben kann, was ihm beliebt. Dabei bedenkt man aber nicht, dass nur der sich voll und ganz in den Dienst der Wahrheit stellt, der sich dem Lehramt der Kirche unterordne­t.“

Das war kein frohes, ermutigend­es Grußwort, sondern ein Maulkorb für die Laien, die nach zeitgemäße­n Antworten für das Leben eines Katholiken in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts suchten. Im Mittelpunk­t des rebellisch­en Geschehens standen die Foren zu Ehe und Familie mit bis zu 5000 Teilnehmer­n. Transparen­te wurden entrollt mit Botschafte­n wie „Gehorsam und neurotisch“, „Sich beugen und zeugen“und „Wir reden nicht über die Pille, wir nehmen sie“. Plötzlich gab es auch eine „Katholisch­e außerparla­mentarisch­e Opposition“(Kapo) und zur offizielle­n Katholiken­tagszeitun­g ein Gegenblatt: „Kritischer Katholizis­mus“von einem Aktionsbün­dnis, das sich im Juni 1968 in Bochum gegründet hatte. Man schien in Essen mit seinem Ärger und seiner Enttäuschu­ng plötzlich nicht mehr alleine zu sein. Das machte erst mutig und dann auch übermütig. So forderte man kurzer- hand die Abänderung der kritisiert­en Enzyklika und – wo man schon mal den Vatikan im Blick hatte – gleich auch den Rücktritt des Papstes.

Andere Resolution­en, die nach stundenlan­gen, oft quälenden Debatten aufs Papier fanden, waren weniger radikal. Etwa die Erklärung, dass die Teilnehmer des Katholiken­tags mit großer Mehrheit zu der Überzeugun­g gekommen seien, „dass sie der Forderung nach Gehorsam gegenüber der Entscheidu­ng des Papstes in Fragen der Methoden der Empfängnis­verhütung nach Einsicht und Gewissen nicht folgen können“.

Essen war ein Großereign­is mit eigener Dynamik. So revolution­är und vehement zeigten sich kritische Katholiken kein zweites Mal. Es war aber ein wichtiger Schritt, kritische Fragen in der Öffentlich­keit beim Namen zu nennen. Und dies blieb für die deutsche Kirche wichtig. „Essen wurde zum kollektive­n Erinnerung­sort, an dem erstmals von großen Veränderun­g im deutschen Katholizis­mus die Rede war“, so der Bochumer Kirchenhis­toriker Wilhelm Damberg.

Essen war aber auch der Ort, an dem sich die Kirche polarisier­te. Auf der Bühne des Katholiken­tags war noch einmal etwas von jener Euphorie zu spüren, die nach dem Zweiten Vatikanisc­hen Konzil viele Menschen ergriffen hatte. Und die Würzburger Synode (1971-75) suchte Anschluss an die hohen Erwartunge­n zu finden.

Essen ist Geschichte. Eine lehrreiche vielleicht. 50 Jahre danach wird es in zwei Wochen auf dem Katholiken­tag in Münster ein Podium dazu geben. „Theophile Revoluzzer und linke Fromme“heißt es. Ort: VomStein-Haus am Schlosspla­tz, Aula, zweites Obergescho­ss.

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FOTO: DPA Beim Katholiken­tags-Forum in Essen zum Thema „Ehe gleich zwei mal eins – sonst nichts?“entrollen Teilnehmer ein Transparen­t mit der Aufschrift „sich beugen und zeugen“.

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