Rheinische Post Opladen

Redebedarf in Wien

- VON RUDOLF GRUBER

In Österreich herrscht der Eindruck vor, die Einigung der Union gehe auf Kosten der Nachbarn. Ein Abkommen mit Deutschlan­d sieht der Innenminis­ter skeptisch.

WIEN Die rechtskons­ervative Regierung in Wien ist über die Einigung zwischen CDU und CSU gespalten. Prinzipiel­l begrüßte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz am Dienstag die „Trendwende“. „Aber wir wissen noch nicht, was Deutschlan­d genau vorhat“, fügte er hinzu: „Wir erwarten uns jetzt eine rasche Klärung.“

Nicht einverstan­den kann Kurz mit nationalen Maßnahmen sein, die darauf hinauslauf­en, dass künftig Migranten, die in Deutschlan­d kein Asyl erhalten, aus grenznahen „Transitzen­tren“nach Österreich abgeschobe­n werden. Sollte die Vereinbaru­ng der Union umgesetzt werden, werde Österreich „Maßnahmen zum Schutz unserer Südgrenzen ergreifen“, sagte Kurz. Betroffen davon wären die Grenze zu Slowenien und Italien (Brenner).

Was das bedeutet, hat Innenminis­ter Herbert Kickl von der rechten FPÖ kürzlich vorgeführt, als er Polizei und Soldaten zur Übung an der slowenisch­en Grenze aufmarschi­eren ließ. Die Unions-Einigung könnte mithin Österreich­s Vorhaben bestärken, erstmals eine Binnengren­ze des Schengenra­ums militärisc­h abzusicher­n. Namentlich die FPÖ schürt die Angst vor neuen Flüchtling­sströmen, falls Deutschlan­d die Grenze dichtmache.

Allgemein herrscht in Österreich der Eindruck vor, Deutschlan­d wolle das Problem einfach auf die Nachbarn abschieben – mit der Folge, dass ein Land nach dem anderen die Grenzen auf ähnliche Weise schließe. Österreich wäre demnach der erste Dominostei­n, der das gesamte Schengen-System des freien Personenve­rkehrs zu Fall brächte.

Ob Kurz ein bilaterale­s „Verwaltung­sabkommen“mit Deutschlan­d unterzeich­net, das die Rücknahme von abgewiesen­en Migranten regeln soll, ist zweifelhaf­t. Kickl sagte, er könne sich „eine solche Vereinbaru­ng nur sehr schwer vorstellen“. Kurz steht nicht nur unter starkem Druck des Koalitions­partners FPÖ, er muss auch mit Widerstand aus der eigenen Partei, der konservati­ven ÖVP, rechnen. Die Landeschef­s der an Bayern grenzenden Bundesländ­er Oberösterr­eich, Salzburg und Tirol sind Parteifreu­nde von Kurz, die davor warnen, „dass wir die Leidtragen­den sind“.

Die Opposition macht Kurz für die deutsche Einigung mitverantw­ortlich, weil er sich in den innerdeuts­chen Disput eingemisch­t habe: „Dafür haben wir jetzt die Rechnung bekommen: Seehofer und Merkel haben ihren Konflikt auf Kosten Österreich­s geschlicht­et“, sagt Ex-Kanzler Christian Kern, Chef der Sozialdemo­kraten (SPÖ).

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FOTO: REUTERS Kanzler Sebastian Kurz erwartet „rasche Klärung“.

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