Der Schattenmann
Der Skandal um den prügelnden Leibwächter stürzt Emmanuel Macron in die Krise.
PARIS Wer das Verhältnis zwischen Emmanuel Macron und seinem privaten Leibwächter Alexandre Benalla erklären will, muss auf den Schlüsselbund des 26-Jährigen schauen. Dort hing nämlich der Schlüssel zum Haus des Präsidentenpaares im nordfranzösischen Badeort Le Touquet. Ein Vertrauensbeweis des Staatschefs an seinen früheren Sicherheitsbeauftragten, der sich nun als fatal erweisen könnte. Denn gegen Benalla läuft ein Ermittlungsverfahren.
Der stämmige Mann mit dem dunklen Bart hatte am 1. Mai als Beobachter der Polizei auf einem Pariser Platz auf einen Demonstranten eingeprügelt. Macron, der damals in Australien war, erfuhr von seinem Bürochef Patrick Strzoda von der Entgleisung seines Bodyguards und ordnete Sanktionen an. Die fielen mit einer zweiwöchigen Beurlaubung Benallas auffällig mild aus. Erst die Zeitung „Le Monde“brachte mit ihrer Enthüllung vergangene Woche den Fall vor die Justiz. Warum Strzoda nicht die Staatsanwaltschaft einschaltete, sollte er am Dienstag vor der Nationalversammlung erklären.
Der 66-Jährige könnte damit zum Sündenbock in einer Affäre werden, die sich zur größten Krise der Präsidentschaft Macrons auswächst. Denn die ersten Anhörungen von Innenminister Gérard Collomb und Polizeipräfekt Michel Delpuech in der Nationalversammlung zeigen, dass die Verantwortung für die Geschehnisse eindeutig im Elysée liegt. „Warum wurde Herr Benalla vom Präsidenten so geschützt und privilegiert?“, fragte der konservative Oppositionsführer Christian Jacob. Er kündigte einen Misstrauensantrag an, dem sich andere Parteien anschließen könnten. Aussichten auf Erfolg hat die Initiative nicht, da Macrons Partei LREM in der Nationalversammlung die absolute Mehrheit hat. „Wir wissen, dass wir ihn nicht zu Fall bringen, aber es ist nicht hinnehmbar, dass die Volksvertretung keine Erklärung der Regierung bekommt“, begründete Jacob seinen Schritt.
Regierungschef Edouard Philippe warf den Abgeordneten vor, sich als Staatsanwälte aufzuspielen. „Die Nationalversammlung ist kein Tribunal.“Eine individuelle Entgleisung ergebe nicht gleich eine Staatsaffäre, sagte er unter dem Applaus der Abgeordneten seiner Partei. Dennoch offenbart die Affäre Benalla das Versagen mehrerer Institutionen. So zeigte Collomb bei der Befragung durch den Untersuchungsausschuss der Nationalversammlung eine erschreckende Unkenntnis. „Ich habe ihn getroffen, aber ich wusste nicht, dass er Sicherheitsberater des Präsidenten war“, versicherte der Macron-Vertraute über den Mann, der dem Präsidenten folgte wie ein Schatten.
Auch beim mehr als nachlässigen Umgang mit dem heiklen Video, das Benallas Ausschreitungen zeigt, belastete der 71-jährige Gérard Collomb den Elysée. Er habe das Präsidialamt über den Vorfall informiert und sich danach nicht mehr darum gekümmert. „Ich war der Ansicht, dass die gemeldeten Ereignisse auf der passenden Ebene behandelt wurden“, sagte er. Polizeipräfekt Delpuech wurde noch deutlicher und sprach von „verwerflichen Auswüchsen aufgrund von ungesunder Vetternwirtschaft“.
Die Linksaußen-Partei La France Insoumise fordert bereits, auch Macron vor dem Untersuchungsausschuss zu verhören. Der 40-Jährige versammelte am Wochenende seine wichtigsten Minister um sich, um einen Ausweg aus der Krise zu finden. Der Präsident verurteile das „schockierende und nicht hinnehmbare Verhalten“, ließ der Elysée hinterher mitteilen. Der Vorfall habe „Funktionsstörungen“im Präsidentenpalast gezeigt, die nun mit Reformen behoben werden sollen. Ob und wann Emmanuel Macron sich höchstpersönlich zu dem Skandal äußern wird, ließen seine Mitarbeiter offen. Am Mittwoch reist der Präsident in die Pyrenäen, verzichtet dabei aber auf den geplanten Besuch bei einer Etappe der Tour de France.
Wohlweislich hat der Elysée im Protokoll keine Äußerung Macrons vorgesehen. So lange der Präsident nicht spricht, bleibt die Frage offen, warum Benalla an der Seite des Staatschefs so eine wichtige Rolle spielte. Der 26-Jährige ohne Polizeiausbildung hatte bereits im Wahlkampf den Kandidaten Macron bewacht. Ein Jünger der ersten Stunde also, denen der frühere Wirtschaftsminister nach seiner Wahl einen besonderen Platz eingeräumt hatte. Der aus einfachen Verhältnissen stammende Benalla war als Sicherheitsbeauftragter eine Parallel-Instanz zur Spezialtruppe der Polizei, die eigentlich für die Bewachung des Staatschefs zuständig ist. Dabei genoss er Privilegien wie einen Dienstwagen mit Blaulicht, ein großzügiges Gehalt und eine Dienstwohnung am schicken Quai Branly. Sie sollte demnächst sogar noch renoviert werden – für 180.000 Euro.