Die Gentlemen bitten zur Tasse
Nirgendwo im Espresso-Erfinder-Land Italien wird so viel Kaffee getrunken wie in Triest. Jetzt bietet die AdriaStadt eine Tour auf den Spuren von Cappuccino & Co.
Stuckverzierte Decken und Tütenlampen, Kaffeehaus-Tische mit wuchtigem Eisensockel vor plüschigen, weinrot gepolsterten Stühlen, Schunkel-Walzer aus dem Lautsprecher: Das Café Tommaseo könnte in Wien stehen. Tut es aber nicht. Die Ohren schnappen ausschließlich italienische Sprachfetzen auf – vor allem die des Kellners nach einer Kaffee-Bestellung: „Prego?“Nun wird’s spannend. „Trieste in tazzina“lautet der Titel eines postkartengroßes Hefts. Zu deutsch: Triest in der Tasse. Für drei Euro kann man damit in sechs verschiedenen Cafés eine aufgebrühte Spezialität der Stadt trinken. Die heißt garantiert anders als bei uns, darum steht die Vokabelhilfe gleich auf Seite zwei der Broschüre: ein Macchiato soll es sein, also muss „Capo“bestellt werden. Oder „Capo in B“– dann kommt er „in bicchiere“– im Glas. Da muss man schon tief reingucken, denn drin ist nur eine braune Mini-Pfütze mit Schaum. Weniger ist hier nämlich mehr, denn der Capo schmeckt stark und bitter in Triests ältestem Café von 1830, das traditionell ein Treffpunkt von politischen Aktivisten ist und einst Speiseeis-Pionier der Stadt.
Direkt vor der Tür: die Molo Audace, eine etwa 200 Meter in die Adria ragende Mole – sozusagen Triests Laufsteg, tagsüber für Sonnenanbeter und Angler, abends für Liebespaare. Am Kopf der Molo Audace ist es wieder da, dieses WienGefühl und zwar beim Weitwinkel-Blick auf die Stadt: weiße, fünf- bis siebenstöckige Palazzi, die sich über ganze Straßenzüge erstrecken, mit neoklassizistischen Säulen und Großfamilien antiker Götterstatuen oder verputzten Theatervorhängen als Fassadenschmuck. Dazwischen ebenfalls österreichisch anmutende Kirchen mit abgerundeten Türmen. Besonders beeindruckend ist diese Kulisse auf der Piazza Unita d‘ Italia. Groß wie drei Fußballplätze, an drei Seiten eingerahmt vom mosaikverzierten Governeurspalast, dem XXL-Rathaus und dem Palazzo del Lloyd Triestino. Blickfang ist allerdings Seite Nummer 4: Sie ist offen zum Meer. Die Terrasse des „Caffe degli Specchi“(Spiegel-Café) bietet den besten Blick hinaus und auch auf den Platz. Am Spätnachmittag, wenn die Sonne diese vielleicht schönste Piazza Italiens in milchkaffeewarmes Licht taucht. Und erst recht abends, zur blauen Stunde. Die gibt’s hier auch bei bedecktem Himmel, dank blau leuchtender Poller und Lichter auf dem Platz. Sie markieren, wie weit das Wasser einst auf die Piazza schwappte, werden aber von den Triestinern als Landebahn-Leuchtfeuer verspottet.
Auch wenn das Specchi nicht im Gutscheinheft vertreten ist – ein Espresso dort ist Pflicht. „Nero“heißt er in Triest und wird im Spiegelcafé zubereitet von Enzo, einem Barista. Viele dieser coolen Kaffee-Gentlemen lernen die richtige Bedienung ihrer fauchenden Dampfmaschinen und das Zaubern von Herzen und Drachenbildern im Milchschaum auf einer – Achtung! - Universität, gegründet von der Triestiner Edel-KaffeeDynastie Illy. Etwa 1000 ambitionierte BohnenBrüher pro Jahr erfahren hier, dass wahrer Espresso im Mund eine Geschmacksexplosion hervorrufen muss, die mindestens 15 Minuten anhalten soll. Weil die KaffeeStudenten beim Probieren ihres Übungs-Gebräus aber nicht so lange bis zum Abklingen der Gaumen-Detonation warten können, müssen sie diese am Mundspülbecken mit Wasser und Puffreis löschen. Auch immer mehr Touristen machen an der Illy-Uni eintägigen Bildungsurlaub und zeigen zuhause stolz ihre Urkunden als „Coffee Expert“oder „Cappuccino Excellence“vor. So wie Enzo können sie dann wasserdampf-wolkig umschreiben, wie Nero, der kleine Schwarze, in der Tasse aussehen muss: „Oben drauf haselnussbraun und leicht angeschäumt, mit leichtem Rotstich, feinen Bläschen und so viel Oberflächenspannung, dass eine Prise Streu-Zucchero nicht pronto darin versinkt.“Mitten in seinen Wien-Kulissen spielt Triest plötzlich Venedig: „Canale Grande“steht auf einem Schild an einem Graben mit dümpelnden Motorbooten, der allenfalls „Canale piccolöchen“heißen sollte. Gleich daneben, auf einer Wandtafel, wird nun aber endlich klar, warum diese Stadt so österreichisch aussieht. Sie gehörte mehr als 500 Jahre zum Habsburger-Reich und wurde von Kaiserin Maria Theresias Architekten zu Österreichs einzigem Seehafen ausgebaut. Dazu ließ sie Salinen trockenlegen, und weil rund um Triest nur Kalkgebirge aufragt, musste KutschenKonvoi-weise österreichische Erde rangeschafft werden, sozusagen als Fundament für den neuen, schachbrettartig angelegten Stadtteil „Borgo Teresiano“. In diesen hinein sollten Kanäle zum Entladen der Handelsschiffe direkt an den Lagerhäusern führen. Gleich der erste wurde vielversprechend „Grande“getauft, für weitere fehlte dann das große Geld. So bietet dieser Canale eine einmalige Perspektive mit der Kirche San Antonio Nuovo und ihrem Säulenportal.