Fische nur gegen Sex
Der Fang aus dem Victoriasee ist für die Menschen dort oft die einzige Einnahmequelle. Doch viele Händlerinnen müssen dafür einen hohen Preis zahlen.
SINDO (dpa) Hunderte von Frauen warten mit ihren leeren Plastikeimern im Arm am Strand. Hölzerne Fischerboote fahren auf das Ufer zu, bis oben beladen mit Omena, kleinen Fischen, die im Victoriasee leben. Am Ufer angekommen, scheinen die Händlerinnen genau zu wissen, welchem Fischer sie Omena abkaufen können. Ihre Körbe werden schnell mit den glitschigen Fischen gefüllt. Der wahre Preis allerdings, den die Frauen bezahlen müssen, ist nicht zu sehen. Darüber wird am Strand von Sindo nicht gesprochen, doch alle wissen es, es gehört einfach zum Job dazu: Sex.
„Man muss seinen Körper verkaufen“, sagt Perez Anjango. Sie grinst breit, zeigt ihre große Lücke zwischen den zwei Vorderzähnen. Nicht, weil es eine schöne Erinnerung ist. Sondern, weil es für Frauen wie Anjango, die im Westen Kenias am Victoriasee leben und Fischhandel betreiben, selbstverständlich ist. „Ich musste es tun“, sagt die Frau, die ihr Alter auf 55 schätzt. Sie war als junge Frau rund 15 Jahre lang Fischhändlerin. „Man kriegt keinen Fisch, ohne mit den Fischern befreundet zu sein.“
„Freundschaft“, so nennen es die meisten Frauen. Offiziell heißt es Jaboya: Es ist die Praxis, als Händlerin mit Fischern Sex zu haben, um sich Fisch zu sichern. Das Phänomen ist rund um den Victoriasee weit verbreitet, dem größten See Afrikas, der in Kenia, Uganda und Tansania liegt. Hier sind das Fischen und der Fischhandel die wichtigsten Lebensgrundlage. Doch Überfischung und Umweltverschmutzung belasten seit Jahrzehnten den See. Zudem sind seit der Einführung des Victoriabarschs in den 1950ern und 1960ern die Bestände etlicher anderer Fischarten dramatisch gesunken.
Und wegen der wachsenden Bevölkerung rund um den See müssen Fische immer mehr Menschen als Lebensunterhalt dienen. Die Praxis hat teilweise tödliche Konsequenzen. „So viele Frauen haben Krankheiten bekommen“, erinnert sich Anjango an ihre Erlebnisse. „Einige sind wegen dieser Arbeit gestorben.“Etwa 1,5 Millionen Kenianer leben dem Gesundheitsministerium zufolge mit HIV, etwa 5,9 Prozent der Menschen über 15 Jahre. Die mit Abstand höchsten HIV-Raten finden sich in der Region um den Victoriasee. Im Bezirk Homa Bay, wo Sindo liegt, sind 26 Prozent der Menschen HIV-positiv. Das Virus verursacht die Immunschwächekrankheit Aids.
Am Strand von Sindo, etwa anderthalb holprige Autostunden von der nächsten größeren Stadt Homa Bay entfernt, fahren die Fischer tief in der Nacht mit ihren Booten raus. Frühmorgens landen sie dann mit ihrem Fang an den Stränden, wo die Händlerinnen auf ihre Fischer warten. Man gehe vorher zu einem Fischer, um mit ihm zu schlafen, erklärt Anjango. Somit könnten sich die Frauen sicher sein, dass sie nicht leer ausgehen. Wenn man eine besondere „Freundin“eines Fischers sei, bekomme man vielleicht etwas mehr als andere, sagt die Mutter von drei Kindern. Oder man kommt als Erste dran und erhält den frischen Fisch, der sich besser auf dem Markt verkauft.
Der Sex ersetzt aber nicht das Geld. „Man muss mit einem Fischer Sex haben. Aber auch nach dem Sex muss man ihn bezahlen“, sagt Caroline Alima. Wie Anjango war die 38-Jährige lange Fischhändlerin. „Also ist der Sex quasi kostenlos.“
Das Problem von Jaboya an sich zu bekämpfen, scheint kaum möglich. Doch Hilfsorganisationen können immer mehr Frauen davon befreien, indem sie ihnen zu anderen Berufen verhelfen. Anjango und ihr Mann etwa züchten seit vergangenem Jahr Fische. Das Leben sei nun viel leichter, sagt sie und blickt zufrieden auf ihren Teich. Eine ihrer Töchter ist heute auch Fischhändlerin. Doch sie kaufe nur auf dem Markt, sagt Anjango. „Sie hält sich ganz weit von den Stränden fern.“