Die Akte Sami A.
ANALYSE Der Fall des rechtswidrig abgeschobenen Gefährders ist so komplex, dass der zuständige Landesminister Joachim Stamp schon mal die Verfahren verwechselt. Die Rekonstruktion eines abenteuerlichen Vorgangs.
Wäre dieser Fall eine Farce oder eine Posse, dann gäbe es etwas zu lachen. Wer sich mit der rechtswidrigen Abschiebung des tunesischen Gefährders Sami A. beschäftigt, stößt aber nicht auf leichte Unterhaltung. Er stößt auf politischen Sprengstoff. Die Protagonisten Sami A., 42, Tunesier, als Gefährder eingestuft. Lebte vor seiner Abschiebung mit deutscher Frau und vier Kindern in Bochum. Kammer 7a, Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, setzte das Abschiebeverbot nach Tunesien wieder in Kraft. Kammer 8, Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, bezeichnete die Abschiebung A.s als „grob rechtswidrig“. Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster, bestätigte die Rechtswidrigkeit der Abschiebung. Ausländerbehörde Bochum, zuständig für A.s Abschiebung. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf ), hatte das Abschiebeverbot nach Tunesien widerrufen. NRW-Integrationsministerium, verantwortlich für die Abschiebung. Joachim Stamp (FDP), NRW-Integrationsminister, setzte sich für A.s Abschiebung ein, gestand, schon mal die Kammern 7a und 8 zu verwechseln. Die Ausgangslage Im Juni berichtet die „Bild“über den Fall A.s, der als islamistischer Gefährder Steuergelder empfange. Erst daraufhin rückt der Fall ins öffentliche Bewusstsein. Über A. wird nun wiederholt in der „AG Status“des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums beraten, daran sind Bund und Länder beteiligt. Man einigt sich darauf, A. bis September abzuschieben. Am 25. Juni wird A. in Abschiebehaft genommen. Seine Duldung war abgelaufen und A. damit ausreisepflichtig. Die Androhung seiner Abschiebung durch die Ausländerbehörde war rechtmäßig, wie die Kammer 8 feststellte. Die Abschiebung hätte aber auch durchführbar sein müssen. Das ist sie nur dann, wenn keine Hindernisse vorliegen, etwa wenn A. in Tunesien keine Folter droht. Das Abschiebeverbot Noch im April 2017 bestätigt das OVG ein 2010 vom Bamf ausgestelltes Abschiebeverbot. A. darf nicht nach Tunesien abgeschoben werden, weil ihm dort Folter und unmenschliche Behandlung droht. 2014 widerruft das Bamf wegen des Arabischen Frühlings in Tunesien erstmals diese Feststellung, scheitert aber im Juni 2016 damit vor der Kammer 7a. Mit Bescheid vom 20. Juni 2018 hebt das Bamf das Abschiebeverbot erneut auf. Dagegen klagt A.; wieder hebt die Kammer 7a den Widerruf mit Beschluss vom 12. Juli 2018 auf. Ohne diplomatische Zusicherung Tunesiens sei von einer „beachtlichen Wahrscheinlichkeit von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung“für A. auszugehen. Der Beschluss erreicht das Bamf und die Ausländerbehörde am frühen Morgen des 13. Juli 2018. Da sitzt A. bereits im Flugzeug. Die Abschiebung Nachdem A. in Abschiebehaft genommen worden ist, beantragt seine Anwältin Abschiebeschutz. Sie teilt der Kammer 7a mit, dass die Abschiebung für den 29. August geplant sei. Die Kammer bittet das Bamf deswegen, dem Gericht unverzüglich mitzuteilen, falls eine frühere Abschiebung geplant werde. Zufällig entdeckt die Kammer in der Ausländerpersonalakte, dass die Abschiebung für den 12. Juli geplant ist. Das Gericht fordert das Bamf deswegen auf, eine Zusage zu machen, bis zur Entscheidung über den Abschiebeschutz nicht abzuschieben. Das Bamf erkundigt sich daraufhin beim Ministerium über den für den 12. Juli geplanten Rückflug. Das zuständige Referat teilt dem Bamf mit, dass der Rückflug storniert wurde. Zu dieser Zeit ist der neue Rückflug für den 13. Juli bereits gebucht. Das OVG schreibt deswegen in seinem Beschluss vom 15. August: „Die Offenbarung nur der ,halben Wahrheit’ – Mitteilung der Flugstornierung am 12. Juli, 22.15 Uhr ohne Hinweis auf die Flugbuchung für den Folgetag, 6.30 Uhr – war zudem geeignet, den Anspruch des Antragstellers (Sami A., Anm. d. Red.) auf effektiven Rechtsschutz zu gefährden, da das