Dawandas Ende
Tausende Händler haben über die Plattform selbstgemachte Produkte angeboten, Tausende Kunden Unikate gefunden, die mit viel Liebe gemacht waren. Nun schließt der Marktplatz.
DÜSSELDORF Wer den Namen Dawanda erwähnt, blickt in ein ratloses Gesicht oder erntet ein Strahlen. Das hängt häufig davon ab, ob man mit einem Mann oder einer Frau redet. 90 Prozent der Nutzer sind weiblich. Zwölf Jahre war Dawanda die erste Adresse in Deutschland für jene, die Handarbeit wertschätzen. Hier gab es selbstgenähte Kleidung für Babys, gebastelte Glückwunschkarten, handgefertigten Schmuck. Unikate, hergestellt mit Liebe. Das versprach zumindest das Dawanda-Motto „Products with love“. Die Geschichte von Dawanda ist die von Gründerin Claudia Helming, aber auch die von Menschen wie Martina Greven, Corina Backes oder Sven Hilbich. Ihre Produkte haben Dawanda groß gemacht, während sie umgekehrt mit dem Berliner Start-up groß wurden. Über die Plattform erreichten sie so viele Leute, wie es über eine eigene Internetseite kaum so leicht möglich gewesen wäre. Nun trennen sich ihre Wege. Zum 30. August wird Dawanda geschlossen. Verkäufer fragen sich, wie es weitergeht.
Das Kapitel Dawanda endet aber auch für Claudia Helming – die Frau, die Europas größte Plattform für Selbstgemachtes aufgebaut hat, obwohl sie selbst nur ungern bastelt. Helming hat Tourismus und Romanistik studiert, arbeitete dann beim Online-Reiseanbieter Lastminute.de und reiste irgendwann nach Russland. Hier beginnt Dawandas Geschichte. Denn Helming, damals Anfang 30, fand in Moskau keine geeigneten Weihnachtsgeschenke, wie sie mal erzählte. Also kaufte sie unbemalte Matroschka-Puppen, um sie zu verzieren. Sie malte, trank dabei Wodka und beschloss am Ende, das Ergebnis lieber nicht zu verschenken. Dafür hatte sie eine Idee: ein Portal für Selbstgemachtes. Am 3. Dezember 2006 ging Dawanda live. Dawanda bedeutet so viel wie „Die Einzigartige“. Aber so stimmt das nicht. Wie bei so vielen Berliner Gründungen in dieser Zeit gibt es auch für Dawanda ein US-Vorbild, dessen Modell man kopiert hat: Etsy. Helming begann nach Investoren zu suchen, was sich als gar nicht so leicht herausstellte.2007 steigt Holtzbrinck Ventures ein, 2012 Vorwerk Ventures. Die beiden verkaufen ihre Anteile 2015, die Mehrheit geht an Insight Ventures Partner, einen Risikokapitalgeber aus New York, der auch Delivery Hero und Hellofresh mitfinanziert hat.
Aber eine echte wirtschaftliche Erfolgsgeschichte wird Dawanda nicht. 2017 trennt sich das Start-up von Mitarbeitern, so wie schon 2013, als man viel zu schnell gewachsen war. Gleichzeitig steigen die Gebühren. Dawanda verdient an jedem Verkauf der Händler eine Provision, auch das Einstellen von Artikeln kostet. Der Umsatz steigt um 21 Prozent auf 16,4 Millionen Euro. Doch unter dem Strich bleiben Verluste, selbst wenn sie von vier auf eine Million Euro fallen.
Dennoch schien alles auf einem guten Weg. Doch dann kam die Nachricht vom Aus. „Die Entscheidung fiel uns nicht leicht, in Dawanda steckte viel Herzblut“, sag Claudia Helming im Juni, als das Ende publik wurde. „Dawanda ist nicht insolvent. Aber wir haben erkannt, dass das Risiko, nicht mehr mithalten zu können, zu groß ist.“Der Außenumsatz, also der Umsatz, den Verkäufer über die Dawanda-Plattform erzielt haben, soll sich zuletzt nicht mehr so stark entwickelt haben. Auch technisch, heißt es, hätte das Unternehmen sehr viel verändern müssen. Verkäufer klagten immer wieder, dass gerade in der Weihnachtszeit, wenn viele Kunden nach Artikeln suchten, die Seite nicht stabil funktioniert habe. Zuletzt soll es außerdem Probleme mit aggressiven Abmahnanwälten gegeben haben, die gegen Tausende Dawanda-Verkäufer vorgingen, wenn sie Formfehler oder andere Verstöße fanden. Viele sollen aus Furcht ihren Shop geschlossen haben.
Andere hielten durch, immerhin hing an Dawanda ihre Existenz. Rund ein Viertel der Dawanda-Verkäufer, so hat Helming mal geschätzt, hätten den Online-Shop als primäre Einkommensquelle genutzt. Es sind Frauen, die erfolgreich ein kleines Unternehmen aufgebaut haben und teilweise Mitarbeiter beschäftigten.
Jetzt versucht der US-Konkurrent Etsy, Dawanda-Shop-Betreiber mit kostenlosen Wechsel-Angeboten auf seine Plattform zu locken. Auch die alte Dawanda-Homepage wird schon bald auf die Seite des US-Konkurrenten umleiten. Die 150 Dawanda-Mitarbeiter will Etsy nicht übernehmen. Trotzdem wirbt Dawanda bei Händlern für den einstigen Konkurrenten. Das US-Unternehmen ist im Vergleich zu Dawanda ein Koloss. Rund 50 Millionen Produkte werden auf der Plattform angeboten, bei Dawanda waren es rund sechs Millionen. Da fürchtet so mancher langjähriger Dawanda-Anbieter, in der Masse unterzugehen.
Und so herrscht bei vielen weiter Ungewissheit, wie es weitergeht. Auch Claudia Helming weiß noch nicht, was nach dem 30. August kommt. Sagt sie. Beraterin von Etsy werde sie nicht. Zwei Andenken will sie aus dem Büro mitnehmen, zwei skurrile Produkte aus der Anfangszeit: ein gehäkeltes Busenkissen und eine kleine Holzpuppe nach ihrem Abbild. Und dann ist Schluss.