„Der Umgang mit Prokop hat mir nicht gefallen“
Das Handball-Urgestein spricht über den umstrittenen Bundestrainer, die WM 2019 und ein Comeback.
DÜSSELDORF Leicht ist es nicht, einen Gesprächstermin mit Heiner Brand zu vereinbaren. Er ist viel unterwegs, meist in Sachen Handball. Der Weltmeistertrainer trat zwar bereits 2011 zurück, doch der Handball ist und bleibt die Konstante im Leben des 66-Jährigen, der als Spieler und als Trainer Weltmeister wurde. Am Mittwoch ist er anlässlich des Supercups zwischen der SG-Flensburg-Handewitt und den Rhein-Neckar Löwen in Düsseldorf. Das Weltmeisterteam von 1978 um Brand, Kurt Klühspies, Joachim Deckarm, Manfred Hofmann und Trainerlegende Vlado Stenzel wird geehrt. Eine „halbe Ewigkeit“, nennt Brand die Zeit, die vergangen ist, als er dann doch ins Erzählen kommt. Herr Brand, wie weit ist die Erinnerung an 1978 entfernt? Ist es ein „Gestern“oder eher ein „Damals“? BRAND Das ist emotional für mich ganz weit weg. Ich habe in den 35 Jahren danach zu viel erlebt, als dass das Endspiel noch präsent wäre. Wir treffen uns aber regelmäßig, das ist immer schön. Schön war sicherlich auch der Titel bei der Heim-WM 2007. War das unter dem Strich Ihr schönster Moment im Handball? BRAND Ja, ich denke schon. Die beiden Titel sind nicht vergleichbar. 1978 war alles ruhiger, wir haben uns vor allem auf dem Feld gefreut. Damals gab es nicht so einen Hype von außen wie 2007 in Deutschland. Was ist vom „Wintermärchen“bei der Heim-WM hängengeblieben? BRAND In den Hallen war eine Stimmung, wie man sie noch nie erlebt hat. Das hat sich hochgeschaukelt mit jedem Sieg. Das Finale war die meistgesehene TV-Sendung in dem Jahr. Es war schon außergewöhnlich. Die WM 2019 findet in Deutschland und in Dänemark statt. Kann wieder eine so große Euphorie wie vor zwölf Jahren aufkommen? BRAND Das hängt vom Erfolg der deutschen Mannschaft ab. Wenn die Spiele spannend sind und das Team weit kommt, kann sicher eine ähnliche Begeisterung aufkommen. Was muss im Team stimmen, damit es Erfolg hat? BRAND Das sind viele Faktoren. Die Fitness muss passen, und die Mannschaft muss taktisch gut vorbereitet sein, um Antworten auf alle Situationen finden zu können. Ein wesentlicher Bestandteil ist der Teamgedanke. Jeder muss bereit sein, für das große Ziel alles zu investieren. Die Spieler müssen in Hochform sein. Wenn alles passt und Verletzungen weitgehend ausbleiben, läuft ein Turnier gut. Das frühe EM-Aus 2018 war enttäuschend. Es hagelte Kritik an Bundestrainer Christian Prokop. Fehlen ihm Fähigkeiten, die ein Bundestrainer braucht? BRAND Ich weiß, dass er seine Lehren aus dem Turnier gezogen und mit vielen Leuten gesprochen hat. Er weiß auch, dass er viele Fehler gemacht hat, die wird er nicht mehr machen. Ich traue ihm viel zu. Christian Prokop ist einer, der viel Ahnung vom Handball und eine gute Grundauffassung hat. Dieses Herfallen über ihn hat mir gar nicht gefallen. Man hat ihn in eine Drucksituation gebracht, als er gleich einen langfristigen Vertrag beim Verband unterschrieben hat. Das DHB-Team hat Olympiagold 2020 als Ziel ausgegeben. Ist die WM 2019 nur ein Zwischenstopp? BRAND Das größte Ziel sollte die Heim-WM sein. Was bei Olympia sein wird, ist heute zwei Jahre entfernt. Es wäre fatal, jetzt nur an Olympia zu denken. In der Zeit kann viel passieren, vielleicht hat man auf einmal nicht das Team zur Verfügung, das man mitnehmen wollte. Dann ist das ganz große Ziel ganz weit weg. Olympia können die Spieler als Vision im Hinterkopf haben, mehr nicht. Hatten Sie spezielle Methoden, um Spieler in Hochform zu bringen? BRAND Körperlich war das kaum möglich, weil die Spieler bis Weihnachten in ihren Vereinen waren. Bei uns war es Kontinuität in der Arbeit: Es gab Sommertrainingslager, zu denen auch die Familien kamen, wo alle zusammengewachsen sind. Wir hatten professionelle Hilfe, ich hatte zum Beispiel „Reiss Profile“(wissenschaftl. Persönlichkeitserfassung, Anm. d. Red.) von jedem Spieler. Wir haben an vielen Stellschrauben gedreht. Die Bundesliga galt lange als stärkste Liga der Welt. Im Champions-League-Viertelfinale war aber zuletzt Schluss für deutsche Klubs. Droht die Liga ihren guten Ruf zu verlieren? BRAND Insgesamt sieht es so aus. Das Kräfteverhältnis im Vereinshandball hat sich auch durch Geldgeber verschoben. Paris in Frankreich, Veszprém in Ungarn, Kielce in Polen oder Skopje in Mazedonien locken mit Geld. Es zieht nicht mehr jeden Topspieler in die Bundesliga, wie das früher war. Aber das kommt jungen Deutschen zugute. Sie kommen mehr zum Einsatz, das habe ich über 15 Jahre gefordert. Würden Sie nochmal als Trainer einspringen, wenn Prokop geht? BRAND Nein, das Thema ist hundertprozentig abgehakt. Das habe ich bei meinem Rücktritt gesagt und habe auch noch nicht einmal daran gedacht oder den Willen verspürt, auf die Bank zurückzukehren. Sie sind dem Handball aber als WM-Botschafter und TV-Experte treu, obwohl Handball doch sicher auch nerven kann. BRAND Als Trainer ist die Belastung aber am höchsten. Man lebt die ganze Zeit für das nächste Spiel. Nach dem Abpfiff schläft man nicht richtig, weil man die ganzen Eindrücke verarbeiten muss. Das hat Sie sicher Lebensjahre gekostet. BRAND Ich hoffe nicht! Aber anstrengend war das schon.