Keine Weihen für Täter
MEINUNG Nach den Berichten über Tausende Missbrauchsfälle durch Priester in den USA muss sich die katholische Kirche selbst kritische Fragen stellen – auch in Deutschland. Über das Thema Sexualität muss endlich geredet werden.
Es ist unvorstellbar und unfassbar. Tausende Missbrauchsfälle, begangen von mehr als 300 Kriminellen im Priestergewand. Das ist die Bilanz des Berichts einer „Grand Jury“zum sexuellen Missbrauch im US-Bundesstaat Pennsylvania. Wieder einmal zeigte sich eine „Kultur des Vertuschens“, die auch in Deutschland lange prägend für die katholische Kirche war: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Die Kleriker blieben lieber unter sich, statt sich an den Staat und seine Behörden zu wenden. Kriminelle Priester wurden in eine andere Gemeinde versetzt, statt sie ins Gefängnis zu bringen. Es waren ja schließlich „Brüder in Christus“.
Es ist deswegen nur zu begrüßen, dass sich Papst Franziskus nun in aller Deutlichkeit zu Wort gemeldet hat. „Mit Scham und Reue“wandte er sich an die katholischen Christen in aller Welt. Die Kirche habe nicht dort gestanden, wo sie eigentlich hätte stehen müssen, schrieb er in einem am Montag veröffentlichten Brief. Sie habe nicht rechtzeitig gehandelt. Sie habe „die Kleinen im Stich gelassen“.
Aussagen, die aufrütteln, aber durchaus bekannt vorkommen: „Im Namen der Kirche bekunde ich offen die Scham und Reue, die wir alle empfinden“, hatte auch Benedikt XVI. schon 2010 in seinem Hirtenbrief an die Opfer des irischen Missbrauchsskandals erklärt. Doch damals hatte die Kirche noch versucht, das Problem kleinzumachen: Der Brief Benedikts richtete sich an eine nationale Teilkirche, zu den gleichzeitig in Deutschland aufgedeckten Fällen hatte sich der Papst aus Bayern nicht geäußert. Franziskus nun wendet sich an die ganze Welt – und identifiziert vor allem ein großes Problem: den Klerikalismus. Das Festhalten an Titeln und Ämtern, die Selbstbezogenheit der Kirche, den Hang, die Institution zu schützen. „Zum Missbrauch Nein zu sagen, heißt zu jeder Form von Klerikalismus mit Nachdruck Nein zu sagen.“
Diese Worte von Franziskus wird man auch in Deutschland bedenken müssen. Denn auch hierzulande ist die katholische Kirche noch immer kräftig mit der Aufarbeitung befasst. Während der diesjährigen Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz wird beispielsweise ein Bericht zum Forschungsprojekt „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“erwartet. Und das, was bei dieser Untersuchung herauskommt, dürfte nicht sonderlich ruhmreich werden. Als vor zwei Jahren die Methodik und einige Zwischenergebnisse der Studie vorgestellt wurden, war bekannt geworden, dass man sich für das Projekt eine quantitative Analyse der Personalakten aller Priester, die im Jahr 2000 noch lebten, aus 18 der 27 deutschen Diözesen vorgenommen hatte. Und schon mit den Zwischenergebnissen waren erhebliche Zweifel am emotionalen und sexuellen Reifegrad mancher Priester aufgekommen.
Deswegen werden sich die Bischöfe auch im Herbst die Frage stellen müssen, ob sie wirklich immer geeignete Kandidaten in ihre Priesterseminare aufgenommen haben. Steckte jedes Mal, wenn sich junge Männer zu einem Leben im Zölibat entschieden haben, ein hehres Motiv dahinter? Wollten sich die jungen Leute wirklich immer mit ihrem ganzen Leben auf Christus und den priesterlichen Dienst konzentrieren? Oder stand der eine oder andere vielleicht vor ganz anderen Problemen? Es ist jedenfalls gut, dass der Umgang mit der eigenen Sexualität in den letzten Jahren stärker als früher zum Thema der Priesterausbildung geworden ist. Doch das reicht noch nicht. Denn auch wenn vielen konservativen Katholiken diese Aussage nicht gefallen wird: Die Kirche muss sich als Ganzes mit der Frage auseinandersetzen, welche Rolle Sexualität
Aus den mahnenden Worten des Papstes und seinem Brief müssen nun Konsequenzen folgen