Klassik für das neue Jahrtausend
Ein neues musikalisches Genre begeistert Menschen auf der ganzen Welt. Pianisten werden neuerdings gefeiert wie Popstars. Wir stellen die wichtigsten Künstler der „Neoklassik“vor.
Das Gefühl, das man beim Hören dieser Musik verspürt, ist ganz alt: Wohlbefinden. Das Genre indes ist ziemlich neu, sein Name jedenfalls: Man nennt es Neoklassik. Zugrunde liegt ihm eine klassische Kompositionsstruktur, und auf der Basis ist dann alles möglich. Die Superstars dieser Musik, die in Konzerthäusern stattfindet und auf Labels wie der Deutschen Grammophon, haben oft im Indie-Pop oder in der Clubmusik begonnen und wurden inzwischen von Hollywood entdeckt, wo sie Soundtracks zu großen Produktionen wie „Arrival“von Denis Villeneuve beisteuern.
Nils Frahm, Max Richter und Hauschka spielen in Sälen, die sonst Kompositionen von Bach und Beethoven vorbehalten sind, ihre sanft perlenden Pianostücke und werden dafür gefeuert wie Popstars in den großen Arenen. Dabei ist die Neoklassik mehr, als klassische Musik mit den Mitteln des Pop umzusetzen. Das Genre ist längst eine globale Bewegung, deutsche Künstler sind dabei buchstäblich tonangebend, und als Referenzgrößen dienen zumeist Komponisten aus dem Bereich Minimal Music – Philip Glass etwa und John Cage.
Wer nun meint, das sei ja bloß Soundtapete, Musik zum Nebenbeihören, täuscht sich. Es geht um eine bewusste Reduktion der Mittel, um die Neuerfindung des Klaviers aus dem Geist von 60 Jahren Pop. Avantgarde für das frühe 21. Jahrhundert, sozusagen.
Max Richter
Der 52-Jährige wurde in Deutschland geboren, wuchs aber in England auf. Er hat mal erzählt, dass er dort als Jugendlicher von einem musikliebenden Milchmann täglich mit neuen Platten versorgt wurde: Steve Reich, Arvo Pärt, sowas halt. Traumhafte Vorstellung. Sein Stil liegt zwischen Ambient und Kammermusik, und sein schönstes Werk sind die „Blue Notebooks“aus dem Jahr 2004, die soeben in einer neuen Ausgabe herausgekommen sind. Richter macht auch Soundtracks, für die Serie „Black Mirror“etwa und für den Film „Waltz With Bashir“.
Hauschka
Der Düsseldorfer Volker Bertelmann ist inzwischen Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Sciences und entscheidet also über künftige Oscar-Preisträger mit. Er hat schon HipHop gemacht, elektronische Musik und unter dem Namen Hauschka um 2004 herum begonnen, das Piano zu präparieren. Er umwickelte die Saiten mit Alufolie oder legte Kronkorken darauf. Der Effekt war verblüffend, und inzwischen füllt Hauschka die Hallen und war für seinen Soundtrack zum Film „Lion“sogar für den Oscar nominiert. Er veröffentlichte ein Album mit der Geigerin Hilary Hahn, und gehört haben muss man seine Platte „Salon des Amateurs“, die er dem Club unter der Kunsthalle in Düsseldorf widmete.
Jóhann Jóhannsson
Der Isländer starb im vergangenen Jahr. Er war einer der Pioniere der Neoklassik. Er kam aus der elektronischen Musik, und noch immer großartig ist sein Album „Englabörn“aus dem Jahr 2002. Kurz vor seinem Tod wurden viele Kinobesucher auf Jóhannsson aufmerksam, seine Soundtracks für den Actionfilm „Sicario“und das SciFi-Kammerspiel „Arrival“sind umwerfend.
Ólafur Arnalds
Bekannt wurde Ólafur Arnalds 2004. Damals veröffentlichte die deutsche Metalcore-Band Heaven Shall Burn ihr Album „Antigone“, und das Intro und Outro steuerte ein unbekannter Isländer bei. Arnalds, ein Fan der Band, hatte den Musikern seine Aufnahmen nach einem Konzert zugesteckt, und die fanden sie so gut, dass sie sie als Klammer für ihr eigenes Material verwendeten – und dann fanden das alle gut. 2007 veröffentlichte Arnalds schließlich sein vom Klavier dominierten und von Streichern getragenes Debütalbum „Eulogy for Evolution“, im August dieses Jahres erschien mit „Re:member“seine nunmehr zehnte Platte. Arnalds hat außerdem mit der Pianistin Alice Sara Ott ein Chopin-Album eingespielt und für die ausgezeichnete britische Krimiserie„Broadchurch“die Musik komponiert. Außerdem ist er eine Hälfte des Minimal-Techno-Duos Kiasmos, dessen Musik man sich auch anhören sollte.
Nils Frahm
Der Berliner Pianist ist gerade umgezogen. Er hat sich im ehemaligen DDR-Funkhaus in Köpenick ein neues Studio in einem alten Sendesaal eingerichtet – bis dahin nahm er seine Platten stets in seiner Wohnung im Wedding auf. Nils Frahms Musik ist geprägt von Dauerschleifen und Minimalverschiebungen, er ist ein Meister des Loops und der Verdichtung. Er türmt Klang, Schicht für Schicht. Frahm mag Experimente. Als er sich einmal den Daumen brach, nahm er die Platte „Screws“für neun Finger auf, und für den mehr als zweistündigen Spielfilm „Victoria“von Sebastian Schipper, der mit nur einer Kameraeinstellung auskommt, spielte er die Musik ein. Ebenfalls an einem Stück. Anhören sollte man sich unbedingt auch Nils Frahms Album „Spaces“, für das er Aufnahmen aus seinen Konzerten neu zusammengesetzt hat. In diesem Jahr veröffentlichte er die Platte „All Melody“, die erste, die in seinem neuen Funkhaus-Studio entstanden ist.