Auch Schweden rückt weiter nach rechts
Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten sind laut Prognosen als zweitstärkste Kraft aus der Parlamentswahl hervorgegangen.
STOCKHOLM Noch nie lagen die Nerven vor einer Parlamentswahl in Schweden so blank wie dieses Mal. Die Sozialdemokraten von Ministerpräsident Stefan Löfven, die bislang mit den Grünen in der Minderheit regierten, erzielten laut ersten Nachwahlbefragungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders SVT mit 26,2 Prozent (-4,8 Prozentpunkte im Vergleich zur Wahl 2014) das historisch schlechteste Ergebnis seit Einführung des proportionalen Wahlsystems im Jahr 1911. Bis 1998 war Löfvens Partei, die Schweden prägte wie keine andere, noch von Werten über 40 Prozent verwöhnt. Löfvens abtrünnige Wähler sind laut SVT vor allem zu den rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD) aber auch zur Linkspartei abgewandert.
Immerhin aber verdrängte die einwanderungskritische SD die Arbeiterpartei nicht auch noch vom ersten Platz, wie ein Teil der stark divergierenden Umfragen bis zuletzt voraussah. Mit einem Stimmenanteil von 19,2 Prozent (+6,3) erzielte die SD laut Nachwahlbefragung aber ein besseres Ergebnis als die größte bürgerliche Partei Moderaterna und ist damit erstmals Schwedens zweitgrößte Kraft. Doch ihr Wahlergebnis lag weit von den 25 Prozent, die manche Institute prognostiziert hatten. Zum dritten Mal seit ihrem Einzug ins Parlament 2010 ist die von Neonazis 1988 mitbegründete und inzwischen gemäßigt einwanderungskritische SD damit das Zünglein an der Waage zwischen dem linken Dreiparteienlager und der bürgerlichen Vierparteienallianz.
„Wir sind professioneller geworden, und die gesellschaftlichen Probleme, die wir ansprechen, sind größer geworden“, erklärte SD-Sprecher Mattias Karlsson den Erfolg. „Ich hoffe, dass die Bürgerlichen nun endlich aus ihrer Sandkiste kommen und mit uns reden.“So viele Wähler könne man bei der Regierungsbildung nicht einfach ignorieren.
Das linke Dreiparteienlager besteht neben den Sozialdemokraten aus den 4,2 Prozent (-2,7) erzielenden Grünen und der Linkspartei, die ihren Stimmenanteil auf 9 Prozent (+3,3) steigern konnte. Zusammen stellen die drei Linksparteien 39,4 Prozent (2014: 43,6 Prozent). Die bürgerliche Vierparteienallianz von Regierungschefanwärter Ulf Kristersson liegt mit 39,6 Prozent (2014: 39,4) leicht darüber. Auch Kristerssons liberalkonservative Moderaterna fährt dabei mit 17,8 Prozent (-5,5) ein historisch schlechtes Ergebnis ein. Seine drei Bündnisparteien bestehen aus dem sozialliberalen Zentrum, das sich auf 8,9 Prozent (+2,8) verbessern konnte, den sozialkonservativen Christdemokraten (7,4 Prozent, +2,8) und den Liberalen (5,5 Prozent, +0,1).
Innerhalb beider Blöcke gab es damit eine Verschiebung nach links. Um Wähler von der rechtspopulistischen SD zurückzugewinnen, hatten sowohl Sozialdemokraten als auch Moderaterna teils die gleichen einwanderungskritischen Töne wie die SD von sich gegeben. Das hat Teile der Stammwählerschaft der beiden großen Parteien offenbar irritiert. Auch die Grünen büßten ein, weil sie die weitgehende Schließung der Grenzen Ende 2015 mitgetragen haben.
Völlig unklar bleibt, wie die etablierten Parteien nun mit der SD und ihrer Königsmacherrolle zwischen den Blöcken umgehen werden. Bislang weigerten sich die bürgerlichen Parteien, erneut eine rotgrüne Minderheitsregierung zu dulden oder mit ihr eine Regierung zu bilden – trotz Flirtversuchen von Premier Löfven. Gleichzeitig haben alle Parteien eine Regierungsbeteiligung der SD ausgeschlossen. Möglich wäre, dass Teile des bürgerlichen Lagers sich nach der Wahl doch bewegen und die von Grünen und Linkspartei gestützten Sozialdemokraten tolerieren. Auch könnte die bürgerliche Moderaterna allein eine Minderheitsregierung anstreben, die dann neben den drei anderen bürgerlichen Parteien auch von der SD gestützt wird. Das wäre eine politische Zäsur. Die Moderaterna hat, im Gegensatz zu Liberalen und Zentrum, eine mögliche Stützfunktion der SD nicht gänzlich ausgeschlossen. Liberale und Zentrum haben zudem nur ausgeschlossen, in einer Regierung zu sitzen, die von der SD gestützt wird.
Im Wahlkampf dominierten bei der SD die Themen Einwanderung und Kriminalität. „Öffnet eure Herzen“, hatte der bürgerliche Minderheitsregierungschef Fredrik Reinfeldt vor seiner Abwahl 2014 noch gesagt. Das war das schwedische „Wir schaffen das“. Rotgrün setzte seinen Kurs der offenen Grenzen fort. 160.000 Flüchtlinge kamen zum Höhepunkt der Flüchtlingsbewegung 2015. Kein anderes europäisches Land hat relativ zu seiner Bevölkerungszahl so viele aufgenommen.