SPD fühlt sich im Fall Maaßen ausgetrickst
Union und SPD stecken in der nächsten Regierungskrise. Bei den Sozialdemokraten herrscht Wut über das jüngste Posten-Geschacher.
BERLIN Als SPD-Chefin Andrea Nahles am Dienstag um kurz nach 16 Uhr im Kanzleramt eintrifft, ist schon klar, dass Hans-Georg Maaßen nicht Chef des Verfassungschutzes bleiben wird. Die SPD hat sich festgelegt.
Innenminister Horst Seehofer will den Spitzenbeamten, dem er immer noch den Rücken stärkt, aber nicht einfach rausschmeißen. Die CSU hat sich festgelegt. Nun könnte die Kanzlerin von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und eine Entscheidung treffen. Aber mit der Richtlinienkompetenz musste sie schon während der Regierungskrise im Juni wedeln.
Deshalb geht es im Kanzleramt an diesem Nachmittag zu wie auf einem arabischen Basar. Seehofer bietet an, dass Maaßen mit dem Chef des Bundeskriminalamts Holger Münch den Job tauscht. Auch Münch ist ein selbstbewusster Sicherheitschef, der gerne Klartext redet. Merkel und Nahles lassen sich nicht darauf ein. „Du musst ihn nehmen“, sagt Merkel.
Damit ist Seehofer aus seiner Sicht in einer komfortablen Lage. Jetzt kann er entscheiden. Er erklärt den Parteichefinnen, dass er Maaßen nicht zum Abteilungsleiter machen will, sondern zum Staatssekretär. Dabei käme Maaßen mit dem Job eines Abteilungsleiters schon gut weg. Seine Bezüge betragen aktuell 11.577,13 Euro (B9). Das hat auch ein Abteilungsleiter im Innenministerium. Als Staatssekretär wird er 14.157,33 Euro (B11) pro Monat erhalten. Das sind die Grundzahlungen, hinzu kommen Familien- und weitere Zulagen.
Merkel erkennt die Brisanz, hat aber keine Handhabe, solange sie nicht die nächste existenzielle Machtprobe mit Seehofer eingehen will. Sie pocht darauf, dass Maaßen zumindest nicht für die Aufsicht des Verfassungsschutzes zuständig sein soll. Diese Einigung halten die drei Koalitionäre auch schriftlich fest.
Erst im Rausgehen fragt Nahles, wer denn im Innenministerium für Maaßen weichen muss. Seehofer lacht sein heiseres Lachen und sagt: „Einen CSU-Mann werde ich nicht rausschmeißen.“Nahles ist sofort klar, dass es den SPD-Mann Gunther Adler treffen wird. Nach Informationen unserer Redaktion verschweigt sie dieses pikante Detail aber in der anschließenden Telefonschalte mit SPD-Präsidiumsmitgliedern und den Ministerpräsidenten. Möglicherweise will Nahles eine weitere Eskalation verhindern: In dem Telefongespräch mit den Spitzengenossen schlägt der Chefin ohnehin ungewöhnlich viel Kritik entgegen.
Dafür kommt der Paukenschlag am nächsten Tag, als Seehofer das Karriere-Aus des ausgewiesenen und einzigen Bau-Experten in seinem Ministerium verkündet. Die Sozialdemokraten schäumen, als sie erfahren, was ihre Parteichefin mit ausgekungelt hat. Seehofers Manöver verursacht nicht nur politische, sondern auch finanzielle Kosten. Adler wird sein Grundgehalt von 14.157 Euro zunächst drei Monate lang erhalten. Für weitere drei Jahre bekommt er ein Übergangsgeld von 71,75 Prozent. Er hat also Anspruch auf über 400.000 Euro. Nach drei Jahren kann er mit 58 seine Pension erhalten.
Die interne Kritik an Nahles schwillt an, als die Personalie Adler am späten Mittwochvormittag bekannt wird. Hilde Mattheis, eine Linksaußen der SPD, schreibt beim Kurznachrichtendienst Twitter: „SPD steht nicht am Abgrund! Sie ist schon ein Stück weiter!“Für SPD-Vize Ralf Stegner reicht es. „Das von Seehofer und Co. veranstaltete Sommertheater und jetzt Seehofers unmögliche Beförderung von Herrn Maaßen zum Staatssekretär, nachdem der wegen schwerer Fehler auf Betreiben der SPD aus dem Amt des Verfassungsschutzchefs entfernt werden musste – all das hat meine persönliche Schmerzgrenze schon nach wenigen Monaten erreicht“, sagt Stegner. Der Geduldsfaden der SPD in Sachen GroKo sei bis zum Zerreißen angespannt. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller erklärt: „Was wir hier erleben, ist wirklich unwürdig.“Maaßen als Staatssekretär für Sicherheit zu berufen, könne nur als weitere Provokation eines Innenministers gelesen werden, der jede Bodenhaftung verloren habe. Gerade in einer Zeit, in
der eine gute Mietenpolitik für viele Menschen zur Existenzfrage werde, sei es absolut unverständlich, dass ausgerechnet der Bau- und Wohnungsspezialist Adler zugunsten der Causa Maaßen das Feld räumen müsse.
Am Sonntag will sich der engste Führungszirkel der SPD in Berlin treffen. Dieser Termin ist schon länger geplant, weil die Genossen ohnehin über die Lage der Koalition und die anstehenden Landtagswahlen in Hessen und Bayern sprechen wollen. Angesichts der jüngsten Ereignisse könnte daraus nun aber eine Krisensitzung werden. „Das kann jetzt eine ganz eigene Dynamik bekommen in den nächsten Tagen“, sagt ein Insider.
Während viele Genossen am Mittwoch die Faust in der Tasche machen und den Zusammenhalt des Regierungsbündnisses beschwören, kann die bayerische SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen ihren Ärger nicht mehr zügeln. In einem Schreiben an Nahles fordert sie alle SPD-Minister dazu auf, im Kabinett Einspruch gegen die Berufung von Maaßen zum Staatssekretär einzulegen. Kohnen schreibt: „Liebe Andrea, nach der Absprache in der Runde der Parteivorsitzenden ist notwendig, dass die SPD-Ministerinnen und -Minister bei den bevorstehenden formalen Entscheidungen in der Koalition der Personalie Maaßen nicht zustimmen.“