„Er wollte viele Menschen verletzen“
Kölns Kripo-Chef erläutert, wie knapp die Stadt einem verheerenden Anschlag entkommen ist. Die Bundesanwaltschaft wird wahrscheinlich die Ermittlungen übernehmen. Der Täter scheint außer Lebensgefahr.
DÜSSELDORF/KÖLN Niemand beachtet den Mann, der in der McDonald’s-Filiale im Kölner Hauptbahnhof am Montagmittag hinten in einer Ecke steht und auf einmal damit anfängt, eine Flüssigkeit aus einer Flasche auf den Boden zu spritzen. Dann reagiert eine Frau. Sie will zur Tür hasten, rutscht auf dem nassen Boden aus, schafft es aber rechtzeitig ins Freie. Die anderen Kunden bekommen nichts mit. Das Video einer Überwachungskamera zeigt, wie der Mann einen Molotowcocktail anzündet und auf den Boden wirft. Binnen Sekunden steht der Verkaufsraum in Flammen. Zu sehen ist noch das Mädchen, das mit dem Rücken zu ihm steht, und gerade Essen bestellen wollte. Die 14-Jährige rennt hinaus, Flammen schlagen an ihr hoch. Dann ist nichts mehr zu sehen außer Rauch.
„Das Video macht deutlich, wie viel Glück die Kunden gehabt haben“, sagt Kölns Kripo-Chef Klaus-Stephan Becker einen Tag nach der Tat im Polizeipräsidium in Kalk. Im Koffer des Täters waren noch mehr Flaschen, die er als Molotowcocktails mit Benzin und Tüchern präpariert hatte. Und die Kartuschen mit Stahlkugeln. „Es hätte verheerende Auswirkungen gehabt, wenn er sie eingesetzt hätte. Die Sprengwirkung wäre eine ungeheure gewesen“, sagt Becker. Es sei jedoch noch fraglich, ob das Benzin dazu ausgereicht hätte, die Kartusche zur Explosion zu bringen.
Für das 14 Jahre alte Mädchen sind die Folgen auch so schon verheerend. Es erlitt starke Verbrennungen und wurde am Dienstag operiert. Inzwischen steht die Identität des Geiselnehmers zweifelsfrei fest: Er stammt aus Syrien, ist 55 Jahre alt und seit März 2015 in Deutschland als Asylberechtigter anerkannt. Zuletzt lebte er in einem Flüchtlingswohnheim in Köln-Neuehrenfeld. Seine Aufenthaltserlaubnis ist bis Juni 2021 gültig. Seine DNA hatte die Polizei schon, da er insgesamt 13 Mal strafrechtlich aufgefallen ist – wegen Diebstahls, Bedrohung, Drogenbesitzes und Hausfriedensbruchs.
Wie inzwischen fest steht, ist die „täuschend echt aussehende Waffe“, die er bei sich hatte, eine Softair-Pistole. Weil er in der Apotheke die Geisel mit Benzin übergoss, entschied sich das Spezialeinsatzkommando (SEK) zum Zugriff. Der Täter wurde dabei durch mehrere Schüsse schwer verletzt, am Dienstag war er außer Lebensgefahr, er liegt aber im Koma. Die Ermittler prüfen einen terroristischen Hintergrund des Brandanschlags: „Er wollte offenbar viele Menschen verletzen“, sagt Becker. Zeugen hatten ausgesagt, der Täter habe am Tatort gerufen, er sei Mitglied des Daesh, das ist die arabische Bezeichnung für den Islamischen Staat (IS). In der Vergangenheit hatte er allerdings einen Bekannten beim Staatsschutz gemeldet, weil der angeblich nach Syrien ausreisen wollte. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung stellte die Polizei weiteres Benzin sicher. „An der Wand waren Zeichen in arabischer Schrift, die einen muslimischen Bezug haben – aber keinen Bezug zum IS“, sagt Becker. „Gott ist groß“und „Mohammed ist sein Prophet“, habe da gestanden.
Der Beschuldigte hat in Deutschland einen Bruder und einen Sohn. Mit dem Sohn haben die Ermittler gesprochen, eine Vernehmung des Bruders steht noch aus. „Dadurch erhoffen wir uns weitere Hinweise auf die Motivation des Täters“, sagt Becker. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte am Dienstag: „Ich bin sehr bestürzt über das, was am Kölner Hauptbahnhof passiert ist.“Die Polizei habe durch ihr konsequentes und professionelles Einschreiten Schlimmeres verhindern können.
Nach den Terror-Anschlägen in Paris hat die NRW-Polizei ihre Einsatztaktiken überarbeitet. Wie zu erfahren war, trägt die entsprechende Trainingseinheit den Titel „Amok/Terrorismus“, weil der Täter in beiden Fällen nicht überleben wolle. Dass es sich in Köln um eine Amok- oder Terrorlage gehandelt habe, sei ziemlich schnell klar gewesen. In solch einem Fall müsse die Polizei damit rechnen, dass der Täter einen Sprengstoffgürtel trage. Die Devise laute daher: „Besser einmal mehr schießen.“