Polizist erschießt randalierenden Rentner
Ein 74-jähriger Mann greift bei einer Polizeikontrolle nach einem „waffenähnlichen“Gegenstand. Ein Polizist feuert und trifft ihn tödlich. Gegen den Beamten laufen nun Ermittlungen.
BOCHUM (RP) Ein Polizist hat bei einem Einsatz in Bochum einen 74-Jährigen erschossen und muss sich nun Ermittlungen wegen eines Tötungsdelikts stellen. Der ältere Mann habe nach ersten Erkenntnissen vor einem Wohnhaus einen „waffenähnlichen Gegenstand“aus dem Hosenbund gezogen und auf den unmittelbar vor ihm stehenden 35 Jahre alten Beamten gezielt, sagte ein Sprecher der Essener Polizei am Montag.
Der Polizist habe den Mann bei dem Vorfall vom Sonntag noch vergeblich aufgefordert, die mutmaßliche Waffe fallen zu lassen, und dann mehrere Schüsse abgegeben.
„Man muss zuverlässig treffen, man hat möglicherweise keine zweite Chance“Stephan Hegger GdP-Sprecher
Anwohner hatten die Polizei wegen des 74-Jährigen gerufen – es ging um Randale und Sachbeschädigung.
Bei dem „waffenähnlichen Gegenstand“handelt es sich nach derzeitigem Kenntnisstand nicht um eine scharfe Schusswaffe, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung der Polizei Essen und der Staatsanwaltschaft Bochum. „Ich habe sie selbst noch nicht gesehen, aber es muss sich um eine Revolver-Attrappe handeln“, sagte ein Sprecher der Polizei außerdem. Die Attrappe soll rund zehn Zentimeter groß gewesen sein.
Der Schütze und die ebenfalls zum Einsatz gerufenen Kollegen werden medizinisch betreut. Wie in solchen Fällen üblich, übernimmt eine andere Dienststelle die Untersuchungen – in diesem Fall die Mordkommission Essen. Die Leiche des Mannes werde obduziert, sagte der Essener Polizeisprecher. Wann ein Ergebnis vorliegt, ist unklar. Der Beamte sei nicht vom Dienst suspendiert. Grundsätzlich komme als Vorwurf fahrlässige Tötung oder fahrlässige Körperverletzung mit Todesfolge in Betracht, das müsse die Staatsanwaltschaft klären.
Vor den Schüssen am Sonntagabend waren Polizei und Rettungswagen mehrfach seit den frühen Morgenstunden von dem 74-Jährigen selbst oder von Nachbarn alarmiert worden – aus unterschiedlichen Gründen, wie der Polizeisprecher berichtete. Es habe mehrere Zeugen gegeben, die nun befragt werden sollten, darunter mindestens drei weitere Polizeibeamte und einige Anwohner, die den Vorfall möglicherweise mitbekommen haben. Ob der Schütze selbst bereits vernommen wurde, war am Montag noch unklar.
Es handele sich bei solchen Einsätzen um extreme Stresssituationen, auf die die Polizeibeamtinnen und -beamten in der Aus- und Fortbildung der NRW-Polizeivorbereitet werden, heißt es auf Anfrage aus dem Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW. „In modernen Schießstätten werden sie mit Sachverhalten und Situationen so lebensnah wie möglich konfrontiert, in denen sie lernen, blitzschnell zu entscheiden, ob sie schießen müssen oder andere Möglichkeiten bestehen“, sagt ein Sprecher. Der Schusswaffengebrauch, der dem Schutz des Lebens anderer Menschen sowie dem des Polizisten diene, sei allerdings immer „ultima ratio“, das letzte zur Verfügung stehende geeignete Mittel.
Für Beamte sei es enorm schwierig, in diesen oder ähnlichen Situationen abzuwägen, sagte Stephan Hegger von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Kommt eine als Gefahr eingeschätzte Person auf kurze Distanz auf den Beamten zu, muss er selbst entscheiden.“Meistens seien die Schüsse dann nicht auf Arme oder Beine gerichtet, denn eine Verletzung an den Gliedmaßen könne eine Gegenreaktion hervorrufen. „Man muss zuverlässig treffen, man hat möglicherweise keine zweite Chance“, so Hegger.
Dass Menschen durch Polizeikugeln sterben, kommt in Deutschland vergleichsweise selten vor. Wie aus jüngsten verfügbaren Zahlen der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster hervorgeht, hatten Polizisten 2017 bundesweit bei Einsätzen 14 Menschen erschossen. 39 Menschen wurden verletzt. Die Zahlen sind höher als in den Vorjahren – mit elf Toten und 28 Verletzten durch Polizeischüsse 2016. Als Grund sieht die Gewerkschaft der Polizei auch eine gestiegene Zahl von Messerangriffen. Hegger sagte: „Diese Attacken können sehr schnell tödlich sein, da muss sich ein Polizist wehren.“(mit dpa)