In Ruhe reden
Bei seiner ersten Klausurtagung befasst sich das Kabinett der neuen Regierung mit dem G7-Vorsitz und der Beschleunigung von Zukunftsprojekten. Die zentrale Botschaft des Kanzlers: Das Land soll Fahrt aufnehmen.
BERLIN Vor vier Jahren war alles anders: Bei bestem Aprilwetter traf man sich auf Schloss Meseberg in Brandenburg zur ersten Kabinettsklausur der großen Koalition. Durch die langen und holprigen Verhandlungen war man 2018 erst im Frühjahr bereit für ein erstes Treffen des Kabinetts. Abends gab es Wein im Garten, beim traditionellen Familienfoto aller Ministerinnen und Minister mit der damaligen Kanzlerin auf der Treppe vor dem Schloss strahlte man um die Wette.
Im Januar 2022 fällt die Veranstaltung, der Corona-Pandemie geschuldet, deutlich nüchterner aus. Der Büroleiter des Kanzleramtsministers twittert als Highlight am Morgen den Mond über dem Kanzleramt, später geht es dann in die winterliche Kälte Berlins zum Gruppenfoto vor das Kanzleramt – wenigstens scheint die Sonne. Die Stimmung ist wärmer als das Wetter. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wird später sagen, man habe sich Geselligkeit gewünscht, aber nun Abstand gehalten. Man sei in der Runde der Kabinettsmitglieder dennoch dazu gekommen, „ein bisschen zu lachen“. Der Vizekanzler betont, der „Wille, sich zu helfen“, ziehe sich durch das Kabinett, über die Parteigrenzen hinweg.
Habeck und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) erscheinen betont leger zur Pressekonferenz, ohne Krawatte, dafür im Rollkragenpullover. Persönliche Atmosphäre eben. Nur der Regierungschef Olaf Scholz (SPD) erscheint im Anzug. Der Kanzler mahnt zu Beginn der ersten Klausurtagung mehr Tempo
beim Wohnungsbau, der Energiewende und beim Ausbau der digitalen Infrastruktur an. „Wir müssen da Tempo hineinbekommen“, sagt der SPD-Politiker mit Blick auf Planungsund Genehmigungsverfahren. Angesichts der Herausforderungen sei es nötig, „dass wir schneller werden, viel schneller, als das in Deutschland heute der Fall ist“. Die Regierung wolle „es hinkriegen, dass dieses Land Fahrt aufnimmt“. Die Minister werden liefern müssen – als Chef kann Scholz durchaus unangenehm werden. Lindner assistiert Scholz: Im Laufe des ersten Halbjahres wolle man „vorzeigbare Ergebnisse“haben. „Unser Land ist gefesselt, wir haben uns selbst gefesselt“, so Lindner. Es gebe zu viel Bürokratie.
Zweites großes Thema der Klausur ist die deutsche Präsidentschaft in der G7-Gruppe der führenden demokratischen Wirtschaftsmächte. Deutschland hatte am 1. Januar von Großbritannien den Vorsitz übernommen. Höhepunkt der einjährigen Präsidentschaft wird ein Gipfeltreffen unter Leitung von Scholz im Juni auf Schloss Elmau sein. Scholz möchte hier den Klimaschutz in den Vordergrund stellen, einen internationalen Klima-Club gründen und dabei – genau – Tempo machen.
Tempo soll es auch beim Thema EEG-Umlage geben. Im Koalitionsvertrag haben sich die Ampelparteien darauf geeinigt, dass die Finanzierung der Umlage über den Strompreis beendet wird, um „für sozial gerechte und für die Wirtschaft wettbewerbsfähige Energiepreise zu sorgen“. Als Datum ist der 1. Januar 2023 festgeschrieben, ab dann soll die Umlage aus dem Haushalt finanziert werden. Die aktuell hohen Energiepreise bringen aber neue Dynamik in die Sache, der Konflikt um die Ukraine und die Rationierung der Gaslieferungen aus Russland tun dabei ihr Übriges. Nun werden Rufe danach laut, die Entlastung für die Stromverbraucher früher umzusetzen als geplant. Die FDP prescht hier vor. FDP-Klimaexperte Lukas Köhler hält etwa die Abschaffung deutlich früher für möglich. „Ich habe die begründete Hoffnung, dass wir die Umlage schon deutlich vor dem 1. Januar 2023 abschaffen können, möglicherweise schon zum Sommeroder Herbstbeginn“, sagt der FDP-Politiker unserer Redaktion. „Entscheidend ist, ob das finanzierbar ist. Da die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung im letzten Jahr stärker gestiegen sind als erwartet, könnte sich ein Spielraum dafür ergeben haben.“Konsens, trotz aller Tempo-Aufforderungen, ist das Ansinnen allerdings noch nicht. Sondern Thema für den Koalitionsausschuss nächste Woche.
Die erste Zeit der Ampel stand im Zeichen der Krisen. Außenpolitisch
bestimmten die Bemühungen um eine Deeskalation des UkraineKonflikts die Regierungsarbeit, innenpolitisch ist es die Pandemie. Bei letzterem Thema ist die geplante Impfpflicht die größte Baustelle, bei der die Regierung die Vorbereitung und Entscheidung aber an das Parlament abgegeben hat. Die Umfragen sind nicht mehr so ermutigend wie zu Beginn, das Krisenmanagement hat seinen Preis.
Einer preschte schon mal vor. Das Mindestlohngesetz von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wurde am Freitag sicher nicht ganz zufällig öffentlich. Der gesetzliche Mindestlohn soll zum 1. Oktober dieses Jahres auf zwölf Euro pro Stunde steigen. Die Umsetzung von Scholz` Haupt-Wahlversprechen. Heil wird damit zum Kabinetts-Primus.