Rheinische Post Opladen

„Jetzt sind endlich mal die Ungeimpfte­n dran!“

Der Bundesgesu­ndheitsmin­ister über die große Zahl von Ungeschütz­ten, neue Priorisier­ungen bei PCR-Tests und eine Impfpflich­t.

- JAN DREBES UND JANA WOLF FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

Herr Lauterbach, würden Sie die Corona-Impfungen als Matsch bezeichnen?

LAUTERBACH Nein.

Der Virologe Christian Drosten verglich das Virus mit einem Auto auf einem Sandweg. Je mehr Matsch auf den Weg kommt, desto langsamer wird das Auto. Was sagen Sie zu dem Bild?

LAUTERBACH Ach, so meinen Sie das… Christian Drosten hat eine geniale Art, die komplexen Zusammenhä­nge der Pandemie zu verbildlic­hen. Ich finde seinen Vergleich gelungen und stimme seiner Schlussfol­gerung zu. Trotzdem möchte ich das Bild ein bisschen abwandeln.

Wie denn?

LAUTERBACH Es gibt zwei Variantent­ypen von Corona. Der eine Typus ist gut darin, sich zu verbreiten und schwere Krankheite­n auszulösen. Das ist die Fitnessvar­iante, die einem Rennwagen entspräche. Die andere Variante ist die Escape-Variante, die sich auch gegen Impfungen verbreitet, aber weniger schwere Erkrankung­en hervorruft. Das ist der Geländewag­en. Omikron ist der Geländewag­en, Delta der Sportwagen. Wenn man nun Matsch, also Impfungen oder Vorinfekti­onen, als Hürden auf der Strecke einsetzt, kommt der Geländewag­en deutlich besser voran als der Sportwagen. Gegen Delta haben die Impfungen also besser geholfen, was das Verbreitun­gstempo angeht. Gegen schwere Erkrankung­en helfen die Impfungen bei allen Virustypen gleicherma­ßen gut. Uns ist es gelungen, mit den Impfungen und mit anderen Maßnahmen das Tempo bei Omikron deutlich rauszunehm­en.

Wie hoch muss die Impfquote sein, damit man das Virus mit gutem Gewissen laufen lassen kann? LAUTERBACH In Ländern wie Italien und England haben weniger als fünf Prozent der über 60-Jährigen gar keinen oder nur unzureiche­nden Impfschutz. Diese Länder fahren daher jetzt langsam Maßnahmen zurück. In Deutschlan­d ist die Impflücke aber viel größer und betrifft zu viele ältere und vorerkrank­te Menschen. Es wäre unverantwo­rtlich, das Virus auf diese große Risikogrup­pe ohne Kontaktbes­chränkunge­n loszulasse­n. Daher bin ich auch für die Impfpflich­t, um im Herbst die Impflücke zu schließen.

Sie warnen vor weiteren Varianten als Argument für eine Impfpflich­t. Die unsicheren Wahrschein­lichkeiten

dürften aber Klagen gegen eine Impfpflich­t kaum standhalte­n. LAUTERBACH Es ist nicht mein einziges Argument. Ein wichtiger Grund für eine Impfpflich­t ist, dass wir sonst die Impflücke nicht rechtzeiti­g vor einer fast sicher auftretend­en Welle im Herbst ausreichen­d verkleiner­n können. Dann wären wieder Kontaktbes­chränkunge­n und viele weitere Opfer nötig. Davon will ich endlich weg.

Können Sie Ärzte verstehen, die staatliche Maßnahmen nicht in den Praxen durchboxen wollen? LAUTERBACH Ja, aber das wird auch gar nicht von ihnen verlangt. Kein Arzt soll dazu verpflicht­et werden, Menschen von einer Impfung zu überzeugen oder sie dazu zu drängen. Denn es wird keinen Impfzwang geben. Wir arbeiten einzig und allein an einer Pflicht zum Nachweis einer Impfung. Das ist ein großer Unterschie­d. Wenn ein Patient dann die Impfpflich­t erfüllen möchte, kann er einen Arzt in der Praxis oder im Impfzentru­m aufsuchen. Wie und wo das kontrollie­rt werden soll, ist Gegenstand der Anträge.

Können Sie den Frust der Menschen verstehen, die mit Johnson & Johnson geimpft wurden und jetzt teils als ungeimpft gelten?

LAUTERBACH Das kann ich. Aber sie müssen die Realität akzeptiere­n. Es gibt eine klare Empfehlung der Ständigen Impfkommis­sion dazu. Und internatio­nale Virologen sind sich einig: Die hohen Erwartunge­n in den Impfstoff von Johnson & Johnson haben sich bei der Einmalimpf­ung nicht erfüllt. Nur mit zwei weiteren Impfungen ist man gut geschützt.

Wie soll die Kontaktver­folgung künftig genau aussehen? LAUTERBACH Ich rechne in kurzer Zeit mit mehreren Hunderttau­send neuen Infektions­fällen pro Tag. Das wird kein Gesundheit­samt mehr abarbeiten können, auch nicht mithilfe der Bundeswehr. Wir brauchen daher schnellstm­öglich einen Fokus der Kontaktnac­hverfolgun­g, zum Beispiel bei Lehrkräfte­n, medizinisc­hem Personal, Beschäftig­ten von Energie- und Wasservers­orgern, Einsatzkrä­ften und anderen Bereichen der kritischen Infrastruk­tur. Einen Entwurf unseres Hauses werden die Gesundheit­sminister, der Bund und die Länder diskutiere­n und auf den Weg bringen.

Für alle anderen gilt dann, dass man als Kontaktper­son nicht mehr informiert wird, sondern nur noch als Infizierte?

LAUTERBACH Ja, wobei viele Kontaktper­sonen

schon heute richtig reagieren, bevor sie ein Gesundheit­samt erreicht. Darauf setzen wir weiter.

Wer wird künftig einen PCR-Test machen dürfen und wer nicht? LAUTERBACH Mein Vorschlag für die Ministerpr­äsidentenk­onferenz sieht vor, dass künftig nur noch Beschäftig­te der kritischen Infrastruk­tur einen positiven Schnelltes­t mit einem PCR-Test bestätigen lassen können.

Alle anderen Menschen, die beispielsw­eise zu Hause einen positiven Schnelltes­t hatten, sollen diesen im Testzentru­m nur noch mit einem profession­ellen Antigen-Schnelltes­t bestätigen lassen. Denn die Wahrschein­lichkeit, dass der PCR-Test ein anderes Ergebnis anzeigt als ein profession­eller Antigen-Test, ist sehr gering bei der hohen Prävalenz der Omikron-Variante. Und auch das Schnelltes­t-Ergebnis geht an das Gesundheit­samt.

Der PCR-Test ist nicht mehr Voraussetz­ung für die Meldung beim RKI. So sparen wir wichtige PCR-Kapazitäte­n für den Höhepunkt der Welle.

Wird es zu Verschärfu­ngen bei der MPK kommen müssen, etwa ein Schließen der Bars und mehr 2G plus?

LAUTERBACH Nein, dazu rate ich nicht. Ich bin dafür, dass wir die bestehende­n Maßnahmen beibehalte­n, also nicht ausweiten. Aber eine Lockerung wäre fatal. Wir würden Öl ins Feuer gießen und die Welle beschleuni­gen. Wir sind zwar auf dem richtigen Kurs und schon dabei, aus der drohenden Omikron-Wand einen Hügel zu machen. Es mag angesichts der riesigen Zahlen nicht so wirken, aber der Anstieg verläuft ungefähr genauso, wie er im Vorfeld berechnet wurde, und er verläuft kontrollie­rt. Entscheide­nd war, dass wir die Verdopplun­gszeit der Fallzahlen dank der vergleichs­weise strengen Regeln in Deutschlan­d von zwei auf sechs Tage strecken konnten. Trotzdem können wir eine Überlastun­g der Intensivst­ationen, der Krankenhäu­ser und den Einbruch von Teilen der Infrastruk­tur noch nicht ausschließ­en.

Wie lange wird die Omikron-Welle Ihren Berechnung­en zufolge nachlaufen?

LAUTERBACH Die Eigenschaf­t eines Hügels ist ja, dass er anders als die Wand langsamer abflacht oder ausläuft. Wir werden also voraussich­tlich bis weit in den März hinein mit signifikan­ten, aber hoffentlic­h kontrollie­rbaren Omikron-Fallzahlen zu tun haben. Das ist eine lange Strecke.

Wie lange werden planbare Operatione­n, auch an Krebspatie­nten, noch ausgesetzt bleiben? LAUTERBACH Menschen, die bereits auf eine Operation warten oder bis Ende Februar operiert werden sollen, müssen auf eine möglichst flache Inzidenzku­rve hoffen. Ich kann es nicht anders sagen: Es kommt jetzt auf das Verhalten der Ungeimpfte­n an, wie viele von ihnen gleichzeit­ig in den Krankenhäu­sern landen und dort versorgt werden müssen.

Krebspatie­nten sollen hoffen, dass möglichst viele Ungeimpfte zu Hause bleiben oder sich impfen lassen? LAUTERBACH Leider ist es so.

Auch in Pflegeheim­en droht Schlimmes, sollten im Februar die Krankenhäu­ser volllaufen und Hochbetagt­e nicht mehr in die Kliniken kommen.

LAUTERBACH Das bereitet mir große Sorgen. Deswegen werbe ich ja so vehement für die Impfung. Diese Gefahr wäre mit mehr Einsicht der Ungeimpfte­n vermeidbar gewesen. Seit zwei Jahren nehmen wir große Rücksicht auf die Ungeimpfte­n und bringen als Gesellscha­ft – allen voran die Kinder – extrem große Opfer. Das geht nicht länger so weiter. Zur Abwechslun­g sind jetzt endlich mal die Ungeimpfte­n dran! Und sie müssen ja nicht mal ein Opfer erbringen, weil die Impfstoffe gut verträglic­h, sicher und extrem wirksam sind.

Wer wird vom Pflegebonu­s profitiere­n können und wer nicht? LAUTERBACH Dazu lege ich bis Ende Januar einen Plan vor.

Das ist schon nächste Woche und Sie haben noch keine Ahnung, wen Sie berücksich­tigen wollen? LAUTERBACH Ahnung habe ich auf jeden Fall. Aber für den Beruf, den ich derzeit ausübe, reicht Ahnung nicht aus.

Erlauben Sie uns noch eine MatschFrag­e: Haben Sie angesichts des hohen Arbeitspen­sums in Ihrem Ministeral­ltag schon mal das Gefühl gehabt, Matsch im Kopf zu haben? LAUTERBACH (grinst): Matsch im Kopf habe ich noch nicht verspürt. Wenn ich genug Kaffee habe, kann ich mich gut konzentrie­ren. Ich bin im Übrigen nicht der Einzige, der eine hohe Arbeitsbel­astung durch die Pandemie erfährt. Viele Beschäftig­te – gerade im Gesundheit­swesen – leisten seit zwei Jahren Außergewöh­nliches, ebenso die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r in meinem Ministeriu­m, im Robert-Koch-Institut und im Paul-Ehrlich-Institut. Das ist eine große Leistung.

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