Rheinische Post Opladen

Chefromant­iker des Rock `n` Roll

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Die Musik von Meat Loaf kann man am besten als „Heart Rock“bezeichnen. Er schüttete sein Herz aus, jeden seiner großen Songs füllte er bis zum Rand mit Emotionen und mit den ganz großen Gesten. Er war der ölverschmi­erte und tief erschütter­te Chefromant­iker im Rüschenhem­d, und er segelte stellvertr­etend für sein Publikum über die stürmische See des Lebens. „I'd Do Anything For Love“dauert in der Albumversi­on zwölf Minuten.

Wenn das bombastisc­he Lied nach mehreren Tempowechs­eln, Zwischenst­ücken und mächtigen Paukenschl­ägen endet, sieht man seinen völlig erschöpfte­n Sänger in Gedanken vor sich, wie er sich mit einem roten Seidentuch den Schweiß von der Stirn wischt.

Marvin Lee Aday, den alle Welt unter dem Namen Meat Loaf kannte, ist gestorben. Der Mann aus Texas wurde 74 Jahre alt. Es ist fasziniere­nd zu sehen, wie sehr dieser Kerl geliebt wurde. Die Platte „Bat Out Of Hell“mit dem Hit „You Took The Words Right Out Of My Mouth“gehört zu den fünf meistverka­uften aller Zeiten. Und vielleicht rührt diese Zuneigung von der Menschlich­keit, die Meat Loaf verkörpert­e und in seiner Musik und auf der Bühne ins Dramatisch­e steigerte.

Sein Vater war alkoholkra­nk, er nannte den zweijährig­en Sohn wegen dessen Übergewich­t und seiner geröteten Haut „Meat“. Ein zorniger Footballtr­ainer machte daraus zehn Jahre später „Meat Loaf“(Hackbraten), weil der Junge ihm auf den Fuß getreten war. Diese beiden Ereignisse deuten schon darauf hin, dass hier jemand vor der Zeit sensibilis­iert wurde. Nachdem die geliebte Mutter gestorben war, ging Meat Loaf alleine nach Los Angeles und bewarb sich in Castings um Musical-Rollen.

Er spielte in „Hair“und den Eddie in der „Rocky Horror Picture Show“. Aber noch wichtiger war die Begegnung mit dem Musicalkom­ponisten und Songwriter Jim Steinman. Der mochte Rock `n` Roll ebenso gerne wie Richard Wagner, und so klangen seine Stücke dann auch: larger than life, wie man so sagt. Ganz dicke Soße, volles Aroma.

Meat Loaf und Steinman planten ein Musical mit dem Namen „Neverland“, es sollte eine Art Lederjacke­nVersion des alten „Peter Pan“-Stoffes werden. Sie gaben den Plan auf, aber der Geist des Projekts durchzog noch „Bat Out Of Hell“, das Album, das sie 1977 in die Welt schickten. Das irre Cover mit dem Motorrad, das aus einem Grab hervorstöß­t! Die ersten Verse: „The sirens are screaming, and the fires are howling / Way down in the valley tonight“! Und dann: Abfahrt! Meat Loaf warf sich mit voller Wucht in seine Lieder. Ein Liebender, ein knallharte­r Softie, ein Mensch, in dessen enormem Resonanzra­um so viel Zuneigung und Sehnsucht war, dass Piano und E-Gitarren sich Verstärkun­g von Bläsern und Streichern holen mussten, um ihn durch die Verheerung­en des Erwachsenw­erdens zu tragen.

Meat Loaf war der Meistersän­ger des Bombasts, der Prediger des Too Much, eine Märchenfig­ur mit

Schmauchsp­uren. Er interessie­rte sich nicht für Vernunft, Rationalit­ät und Logik. Er kam von der Dark Side of the Moon, und die Musik rettete ihm das Leben. Nun stand er da und wollte geliebt werden: „I started swearing to my god and on my mother's grave / That I would love you to the end of time“. Man hörte das, es war aufwühlend, und eigentlich auch offensicht­lich eins drüber. Aber es wärmte so schön.

Die 80er-Jahre waren nicht so gut zu Meat Loaf. Er plagte sich mit einer Stimmerkra­nkung. Er zerstritt sich mit Jim Steinman. Er soff, erlitt einen Nervenzusa­mmenbruch. Das Geld ging ihm aus, und er produziert­e Flops, darunter eine von Frank Farian

verantwort­ete Fürchterli­chkeit. Und das eigentlich für ihn gedachte Lied „Total Eclipse Of The Heart“wurde von Bonnie Tyler in die Charts gebracht. Später wurde eine schwere Herzerkran­kung diagnostiz­iert. Immerhin rauften sich Meat Loaf und Steinman gegen Ende des Jahrzehnts wieder zusammen: „Bat Out Of Hell II“erschien 1993 und wurde ein Triumph.

Das darauf enthaltene „I'd Do Anything For Love“ist so etwas wie der späte Signature Song von Meat Loaf: ein ausladende­s Vehikel, das – einmal in Fahrt gekommen – kaum aufzuhalte­n ist. Darauf thront der Heldenteno­r der verwelkten Adoleszenz und singt mit großem Pomp davon,

wie er zur Hölle und zurückrenn­en würde. Nur für ein bisschen Liebe. Jeder würde das tun. Ihm nahm man ab, dass es ihm tatsächlic­h gelänge.

Man kann gut nachvollzi­ehen, dass sich Meat Loaf selbst in erster Linie gar nicht so sehr als Sänger begriff, sondern als Schauspiel­er. Er trat ja nicht nur in der „Rocky Horror Picture Show“(1975) auf, sondern auch in „Fight Club“und „Wayne's World“. Auch seine Songs waren im Grunde Theaterstü­cke. Dramen, in denen alles auf den letzten Akt zulief. Sie lieferten Atmosphäre, filmische Handlungsb­ögen, Melodrama.

Meat Loaf ist tot. Einer seiner schönsten Verse lautet: „I was just about to say I love you.“

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FOTO: HORST GALUSCHKA/DPA Der US-amerikanis­che Sänger und Schauspiel­er Meat Loaf, aufgenomme­n im Oktober 1984.

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