Eine zweite Familie mit vielen Geschwistern
Es gibt rund 250 Internate allein in Deutschland, dazu kommt ein großer Markt von Einrichtungen im Ausland. In welchen Situationen denken Eltern und Kinder über einen Wechsel nach? Und wie geht man am besten bei der Suche nach einem Internat vor? Michael
Herr Büchler, hat die Corona-Pandemie etwas am Interesse an Internaten beziehungsweise Privatschulen verändert?
Es gibt durchaus eine verstärkte Nachfrage bei all denjenigen Einrichtungen, die schon frühzeitig auf ein umfassendes Digitalkonzept gesetzt haben und so den Distanzunterricht reibungslos und erfolgreich umsetzen konnten. Dort gibt es ein enormes Interesse und sogar Wartelisten.
Wann entscheiden sich Kinder und Eltern grundsätzlich für ein Internat?
In der Regel dann, wenn ein Umbruch im Leben stattfindet. Also beispielsweise, wenn die Eltern beruflich ins Ausland müssen, oder auch sonst sehr eingespannt sind. Bei Kindern entsteht der Wunsch nach einem Wechsel aufs Internat beispielsweise dann, wenn sie Kontakte zu Gleichaltrigen vermissen. Meistens wechseln die Kinder übrigens in der siebten oder achten Klasse. Natürlich kann auch ein Karriereknick im Schulleben ein Grund sein, sodass es Sinn ergibt, das Umfeld zu wechseln. Für besonders begabte Sportler oder künstlerisch veranlagte Kinder gibt es außerdem Einrichtungen, in denen sie optimal gefördert werden.
Welche Gründe für einen Wechsel auf ein Internat gibt es noch?
In der Oberstufe geht die Entscheidung dann oft von den Schülerinnen und Schülern selbst aus. Da kommt etwa der Zeitpunkt, an dem auch über ein Jahr im Ausland nachgedacht wird und man diese Erfahrungen in der Gesellschaft Gleichaltriger, in einer Gruppe machen möchte. Zudem rückt zu diesem Zeitpunkt das Abitur in den Blickpunkt,
auf das man sich in einem Internat vielleicht bestmöglich vorbereiten will.
Was schätzen Kinder und Eltern am Internatsleben?
Die Kinder wechseln im Grunde von ihrer Familie in eine andere Familie mit sehr viel mehr Geschwistern. Sie haben einen strukturierten Tagesablauf mit mehr Regeln – das bisherige Fehlen eines solchen kann übrigens der Grund für einen Wechsel auf ein Internat sein. Die Kinder werden dafür aber Teil einer Gemeinschaft. Sie werden Freunde aus ganz anderen Regionen Deutschlands oder auch der Welt finden, ihren Horizont erweitern, ein Netzwerk bilden, das oft Jahrzehnte hält. Sie werden Toleranz und Offenheit lernen und ihre Sozialkompetenzen sowie ihre Persönlichkeit weiterentwickeln.
Welche Vorteile hat ein Internat aus schulischer Sicht?
Sicher ist es so, dass Internate – und da kann ich für alle Einrichtungen in Deutschland sprechen – eine kleinere Klassengröße haben als die Regelschulen. Das heißt natürlich, dass auf einen Lehrer weniger Schülerinnen und
Schüler kommen, sodass diese intensiver betreut und gefördert werden können.
Wie kann man unter der Fülle der Internate eine Entscheidung für eine Einrichtung treffen?
Man muss zunächst einige grundsätzliche Fragen klären: Möchte das Kind in Deutschland bleiben, oder soll es ein Internat im Ausland sein? Schon aufgrund der Sprachkenntnisse macht es für die meisten Kinder in der siebten oder achten Klasse mehr Sinn, ein Internat in Deutschland zu suchen. Auch auf G8 und G9 muss man achten, genauso wie auf die Schulart: Es gibt Realschul-Internate genauso wie Gymnasien oder berufliche Schulen. Auch die Fremdsprachenfolge sollte man in den Blick nehmen, denn die ist in unseren 16 Bundesländern durchaus unterschiedlich:
Der Verband Deutscher Privatschulverbände versammelt die Privatschulverbände der Bundesländer unter sich. Auf deren Internetseiten finden sich beispielsweise Kontaktlisten zu Internaten in dem jeweiligen Bundesland.
Eine gesamtdeutsche Übersicht findet sich hier: www.privatschulberatung.de oder unter www.internate-portal.de
Spanisch als zweite Fremdsprache ist zum Beispiel nicht überall möglich. Und die Familie sollte sich überlegen, ob das Kind lieber auf dem Land oder stadtnah untergebracht werden möchte.
Wie geht es nach dieser Eingrenzung weiter?
Die Familie sollte sich über das Leitbild der Schulen informieren und schauen, an welches Klientel sie sich richten. Manche Internate in Deutschland haben nämlich durchaus eine sehr internationale Schülerschaft. In dem Zusammenhang muss man auch einen Blick auf die möglichen Abschlüsse werfen: Macht man das deutsche Abitur? Oder das Internationale Baccalaureat, was ein international anerkannter Abschluss aus der Schweiz ist.
Wie viele Schulen sollte man sich dann vor Ort ansehen?
Drei bis vier. Und dabei sollte man nicht nur im Büro beraten werden, sondern einen Rundgang machen, vielleicht mit Schülern sprechen. Nur so bekommt man ein Gefühl für das Schulklima. Wichtig ist, dass das Internat gemeinsame Erlebnisse fördert. Um das Internatsleben einschätzen zu können, lohnt auch ein Blick ins Jahrbuch: Gibt es Wochenendangebote für die Kinder? Oder werden sie dann sich selbst überlassen? Welche Exkursionen wurden gemacht, welche Arbeitsgemeinschaften wirklich angeboten? Was ist in dem Jahr passiert?
Oft heißt es, Internate sind nur etwas für sehr wohlhabende Familien. Stimmt das so?
Wenn man an Internate in der Schweiz denkt, ist es sicher so, dass mehrere Tausend Euro Schulgeld pro Monat fällig werden können. In der Schweiz sind aber die bildungspolitischen Rahmenbedingungen anders als in Deutschland. Und natürlich kostet ein Internat
im Ausland oft mehr als hier in Deutschland. Grundsätzlich ist es auch richtig, dass wohlhabendere Familien in der Regel einen größeren Beitrag leisten, sonst könnten Internate so gar nicht bestehen. Aber: Es ist möglich, Stipendien zu bekommen, beispielsweise bei besonders guten schulischen Leistungen oder auch aus sozialen Gründen, und so kann man auch mit geringen Beiträgen eine Internatsschule besuchen. Auch vom Träger hängt viel ab, es gibt beispielsweise konfessionelle Einrichtungen, die zusätzlich subventioniert werden, und so für die Familien günstiger sind.