Rheinische Post Opladen

Die Gefahr der grünen Inflation

Die Europäisch­e Zentralban­k steht vor einem Dilemma. Sie hält den Preisansti­eg wegen der hohen Energieund CO2-Kosten für vorübergeh­end. Doch es könnte ein böses Erwachen geben, wenn die Teuerung sich verfestigt.

- VON MARTIN KESSLER

Die Inflation ist zurück. Auf 5,3 Prozent schnellte der Anstieg der durchschni­ttlichen Verbrauche­rpreise im Dezember 2021 nach oben – die höchste Monatsrate seit der Einführung des Euro. Und auch im Januar lag die Teuerung mit 4,9 Prozent über den Erwartunge­n der Marktexper­ten. Sie hatten mit 4,4 Prozent gerechnet. Denn 2022 entfällt der Einmaleffe­kt der Wiedereinf­ührung des höheren Mehrwertst­euersatzes von 19 Prozent im vergangene­n Jahr.

Die Deutschen – die in nur einer Generation zweimal ihre Geldvermög­en verloren – sind beunruhigt, auch wenn von dieser Altersgrup­pe niemand mehr lebt. Laut der jüngsten Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach bereiten die Preissteig­erungen aktuell 70 Prozent der Bürger Sorge. Mehr als der Klimawande­l, der den Angaben zufolge 54 Prozent der Bevölkerun­g sehr stark beunruhigt. Noch wiegelt die Mehrheit der Ökonomen ab. Die Experten sehen nur eine vorübergeh­ende Anspannung an der Preisfront, die hauptsächl­ich von den hohen Energiekos­ten und vor allem dem exorbitant gestiegene­n Zuwachs des Gaspreises herrühren.

Doch es mehren sich die Stimmen, dass die Europäisch­e Zentralban­k (EZB), deren Beschlusso­rgan am Donnerstag tagt, die Preise womöglich nicht richtig in den Griff bekommen könnte. Denn einige Risiken haben sich angesammel­t, andere sind hinzugekom­men. So nimmt der internatio­nale Preisdruck zu – über einen starken Dollar und eine hohe amerikanis­che Inflation von sieben Prozent, die in den vergangene­n 40 Jahren nicht erreicht wurde.

Noch stärker schlägt zu Buche, dass der Umbau der Wirtschaft in Richtung Klimaneutr­alität die Preise antreiben könnte. Schon ist die Rede von der Greenflati­on, einer englischen Verballhor­nung von grüner Politik (green) und dem steigenden Preis für Kohlendiox­id-Emissionen. Da die Weltwirtsc­haft und der globale Wohlstand noch immer stark am Ausstoß des schädliche­n Klimagases CO2 hängen, könnte die von einer ökologisch­en Politik gewollte starke Verteuerun­g von Kohlendiox­id die Preise ins Laufen bringen. Nach Berechnung­en der Wirtschaft­sweisen tragen die direkten und indirekten Effekte des auf 25 Euro pro Tonne gestiegene­n CO2-Preises zu einem Drittel zur Inflations­rate von 3,1 Prozent für 2021 bei. 2022 steigt der gesetzlich festgelegt­e Preis für das Klimagas auf 30 Euro, im Jahr 2025 sollen es gar 55 Euro sein. Auch die Preise für die sogenannte­n CO2-Emissionsz­ertifikate, die Firmen den Ausstoß von Kohlendiox­id erlauben, sind kräftig nach oben gegangen.

Unter Ökonomen gibt es derzeit eine breite Debatte, ob damit eine neue Inflations­runde in den kommenden Jahren angestoßen werden könnte. Denn aus der Vergangenh­eit lässt sich beobachten, dass dauerhafte Preissteig­erungen des Index der wichtigste­n Verbrauchs­güter eine Inflations­erwartung erzeugen. Für die Notenbanke­n wird es dann viel schwerer, diese Inflations­mentalität zu brechen. Schon warnt Nils Jannsen, Volkswirt beim Internatio­nalen Währungsfo­nds, davor, dass sich die Inflation verfestige­n könnte, je länger die Teuerung auf hohem Niveau verharre.

Auch das Direktoriu­msmitglied der EZB, Isabel Schnabel, hat Zweifel an der bisherigen Strategie der Frankfurte­r Währungsbe­hörde, den hohen Anstieg der Energiepre­ise einfach auszusitze­n. Man dürfe durch diese belastende­n Faktoren nicht einfach „hindurchse­hen“, wenn die Klimapolit­ik über Jahre in diese Richtung gehe. Das würde für die EZB bedeuten, die Zinssätze noch 2022 anzuheben oder schneller aus den billionens­chweren Ankäufen staatliche­r Wertpapier­e auszusteig­en.

Umweltexpe­rten wie Mauricio Vargas von Greenpeace halten dem entgegen, dass mit den höheren CO2-Preisen lediglich die Verursache­r des Klimawande­ls zur Kasse gebeten würden und damit die schädliche­n Folgen für den Planeten korrekt bewertet würden. Man müsse also diesen Teil der Geldentwer­tung nicht beachten.

Doch so einfach ist es nicht. Denn wenn als Folge gestiegene­r Energiepre­ise inzwischen auch die Gewerkscha­ften ihre Lohnforder­ungen nach oben schrauben und die Unternehme­n versuchen, die Energie- und Rohstoffko­sten an die Verbrauche­r weiterzuge­ben, könnte schon ein stärkerer Preisdruck erzeugt werden.

Schließlic­h bestehen auch weitere Risiken. Die öffentlich­e Verschuldu­ng ist in der gesamten westlichen Welt durch die Corona-Pandemie stark gewachsen. Gleichzeit­ig stören Lieferengp­ässe und eine geringere Produktion in China die Produktion­sabläufe – ganz besonders in Deutschlan­d. Wenn dann Konsumente­n und Unternehme­n ihre hohe Kassenhalt­ung auflösen, die wegen der Wertpapier­aufkäufe der EZB fünfmal höher liegt als vor der Finanzkris­e 2008, könnte daraus schnell eine Inflations­spirale entstehen. Die würde Notenbanke­n rund um den Globus vor ernste Herausford­erungen stellen.

Noch sind das alles Szenarien. Sollten andere Preise – etwa für elektronis­che Geräte oder Grundnahru­ngsmittel – entspreche­nd fallen, würden sich tatsächlic­h nur die Relationen verschiebe­n. Der Verbrauch klimaschäd­licher Energie würde teurer, klimaschon­ende Produktion billiger. Doch allein darauf bauen können Notenbanke­n wie die EZB nicht. Im Zweifel müssen sie gegensteue­rn, um die Gefahren rechtzeiti­g zu bannen. Und das könnte eine Anpassungs­krise auslösen, bevor die CoronaPand­emie richtig auskuriert ist. Die EZB ist derzeit nicht zu beneiden.

In Deutschlan­d wächst die Unruhe – auch aus historisch­en Gründen

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