Wein, Bier und Batteriesäure
Der offizielle Bericht zur Partygate-Affäre beschädigt Premierminister Boris Johnson weiter. Zwischen Brexit und Corona-Politik hat er eine wichtige Eigenschaft verloren: seine Beliebtheit über die Parteigrenzen hinweg.
LONDON Boris Johnson ist ein Premierminister auf Bewährung. Die Partygate-Affäre hat ihn noch nicht zu Fall gebracht, aber ausgestanden ist der Skandal noch lange nicht. Scotland Yard untersucht zur Zeit eine Reihe von Feiern, die in der Regierungszentrale Downing Street zu Lockdown-Zeiten stattgefunden haben, als die Covid-Regeln dies verboten. Der Premierminister ist persönlich involviert. Noch will ihn seine Fraktion nicht stürzen. Man wartet das Ende der Untersuchungen ab. Doch zweifellos bleibt der Premier geschwächt und seine Autorität gemindert.
Der vorläufige Report der hochrangigen Beamtin Sue Gray zu den Vorfällen, der am Montag präsentiert wurde, hat Johnson beschädigt. Zwar konnte Grays Untersuchungsbericht wegen der polizeilichen Untersuchungen keine konkreten Einzelheiten nennen, doch ihr Befund war deutlich: Es hat eindeutig Lockdown-Partys gegeben, und sie verstießen gegen das Gesetz. „Das Verhalten bei diesen Treffen ist schwierig zu rechtfertigen“, hieß es. „Einige Treffen stellen ein ernsthaftes Versagen dar, die hohen Standards zu respektieren, die man von denen erwarten kann, die im Herzen der Regierung arbeiten.“Und Gray machte klar, wo die politische Verantwortung dafür liegt, als sie ein „Versagen von Führung und Urteilsvermögen“in der Downing Street konstatierte.
Man habe mehr als 500 Seiten an Dokumenten sowie 300 Fotos erhalten, sagte Commander Catherine Roper, die bei Scotland Yard die Ermittlungen zu den Partys leiten wird. Insgesamt sind es zwölf Partys, bei denen die Londoner Polizeibehörde die „Schwelle zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren“überschritten sieht. Auf mindestens vier dieser Partys soll der Premierminister persönlich anwesend gewesen sein. Eine dieser Partys soll in seiner Dienstwohnung stattgefunden haben an dem Tag, als Johnsons Chefberater Dominik
Cummings seinen Posten räumen musste. Johnsons Verlobte Carrie Symonds, die sich mit Cummings verzankt hatte, soll, wie britische Zeitungen meldeten, den Rausschmiss gefeiert haben mit dem Abba-Song „The Winner Takes It All“.
Während im übrigen Land sich die Menschen an die Corona-Regeln hielten, soziale Zusammenkünfte unterbleiben mussten und in tragischen Fällen sogar manche Briten ihre sterbenden Angehörigen nicht im Krankenhaus besuchen durften, wurde in der Downing Street kräftig gebechert. Grays Report ging ausdrücklich auf die Trinkkultur im Regierungssitz ein. „Exzessiver Konsum von Alkohol ist nicht angemessen“, schimpfte Gray und empfahl, „klare und robuste Richtlinien“zu erlassen. Tatsächlich scheint in der Downing Street eine „Drinking Culture“geherrscht zu haben, eine weitverbreitete Sitte von Alkohol am Arbeitsplatz. Es habe regelmäßig, so hatten Medien kolportiert, „wine-time Fridays“gegeben, also weinselige Ausklänge der Arbeitswoche. Zu diesem Zweck habe man extra einen Weinkühlschrank im Büro installiert, der Platz für 34 Flaschen hatte. Wenn diese ausgetrunken waren, wurde ein Mitarbeiter mit einem Rollkoffer losgeschickt, um Nachschub vom nächsten Supermarkt zu holen.
Boris Johnson will von alldem nichts gewusst haben. Als Anfang Dezember die ersten einschlägigen Vorfälle bekannt wurden, hatte der Premierminister im Unterhaus erklärt, dass es zum einen keine Partys gegeben habe und zum anderen jederzeit die Covid-Regeln befolgt worden seien. Als eine interne EMail ans Licht kam, die rund einhundert Mitarbeiter zu einer Party im Garten der Downing Street einlud und sie aufforderte, Alkohol mitzubringen, wollte Johnson darin lediglich ein „Arbeitstreffen“gesehen haben.
Und als eine Party zu seinem 56. Geburtstag im Kabinettsraum gefeiert wurde, entschuldigte sich der Premier damit, dass ihm niemand gesagt habe, dass es eine Party
gewesen sei. Jetzt lautet die Verteidigung von Johnson, dass erst die Erkenntnisse der Scotland-YardUntersuchung abgewartet werden müssen, bevor man die Vorfälle kommentieren könne.
Es ist dieses nonchalante Abstreiten, was die Briten am meisten aufregt. Boris Johnson war früher einmal ein „Heineken-Politiker“gewesen, der nach der berühmten Werbung des niederländischen Bierbrauers „jene Teile erfrischen kann, die andere Biere nicht erreichen“. Soll heißen: einer, der über Parteigrenzen hinweg beliebt war und auch bei Labour-Wählern punkten konnte. Jetzt nicht mehr.
Mit seiner harten Brexit-Politik ist er zum Spalter geworden. Und seine Ausflüchte, sein Abstreiten und seine offensichtlichen Unwahrheiten haben zu einem fulminanten Vertrauensverlust nicht nur für Johnson selbst, sondern auch für die Konservative Partei geführt. Der ehemalige Kabinettsminister Andrew Mitchell stellt sich jetzt gegen seinen Fraktionskollegen, weil Partygate die Wahlchancen der Torys gefährdet. „Es ist wie Batteriesäure, die die Partei zerfrisst“, sagte er am Dienstag, „das geht nicht weg.“