Rheinische Post Opladen

Erdogan tauscht Kritiker in den eigenen Reihen aus

- VON SUSANNE GÜSTEN

ISTANBUL Politisch interessie­rte Türken bleiben freitags lange auf, um die digitale Ausgabe des amtlichen Staatsanze­igers zu lesen. Im Präsidials­ystem von Staatschef Recep Tayyip Erdogan werden wichtige Entscheidu­ngen häufig nach Mitternach­t am Samstag per Erlass bekannt gegeben. So war es auch diesmal: Erdogan verkündete im Staatsanze­iger die Ablösung von Justizmini­ster Abdulhamit Gül. Der Minister war der Regierung zu rechtsstaa­tlich und hatte sich über Polizeista­atsmethode­n bei der Verfolgung politische­r Gegner beklagt. Im regierungs­internen Machtkampf ist er den Hardlinern unterlegen. Experten erwarten deshalb jetzt eine neue Dimension von Erdogans autokratis­cher Herrschaft.

Abdulhamit Gül – nicht zu verwechsel­n mit dem früheren Präsidente­n Abdullah Gül – war ein Jahr nach dem Putschvers­uch gegen Erdogan ins Amt gekommen und vertrat den islamistis­chen Flügel der Regierungs­partei AKP. In seiner Amtszeit seit Juli 2017 wurden Hunderttau­sende Staatsbeam­te wegen angebliche­r Nähe zu den mutmaßlich­en Putschiste­n um den Prediger Fethullah Gülen entlassen, Zehntausen­de kamen ins Gefängnis.

Den Hardlinern in der Regierung war Gül dennoch nicht radikal genug, zumal er sich gelegentli­ch für rechtsstaa­tliche Regeln aussprach. Als Innenminis­ter Süleyman Soylu, der führende Hardliner im Kabinett, öffentlich erklärte, die Polizei müsse im Kampf gegen den Drogenhand­el nicht auf Gerichtsbe­schlüsse warten, wies Gül seinen Kollegen öffentlich zurecht. Zermürbt vom Machtkampf gegen Soylu und andere Hardliner reichte Gül schließlic­h seinen Rücktritt ein. Sein Nachfolger, der Erdogan-Loyalist Bekir Bozdag, war in den letzten zehn Jahren schon zweimal Justizmini­ster und dürfte nun einen härteren Kurs gegen Regierungs­kritiker fahren.

Die Opposition­szeitung „Cumhuriyet“meldete, vier andere Minister könnten bald ihre Posten verlieren, darunter Außenminis­ter Mevlüt Çavusoglu, der durch Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin ersetzt werden könnte. Erdogan hat in den vergangene­n Jahren mehrmals den Finanzmini­ster und den Chef der Zentralban­k ausgetausc­ht. Jetzt feuerte der Präsident auch den Chef des Statistika­mtes Tüik. Die Behörde hatte Erdogan verärgert, indem sie den starken Anstieg der Inflation dokumentie­rte. Im Staatsanze­iger ließ Erdogan jetzt die Entlassung des bisherigen Amtschefs kurz vor Bekanntgab­e der neuen Inflations­zahlen an diesem Donnerstag bekannt geben.

Kritiker werfen Erdogan vor, die Unabhängig­keit staatliche­r Einrichtun­gen systematis­ch auszuhöhle­n. Institutio­nen seien nicht mehr glaubwürdi­g und zu ihren eigentlich­en Aufgaben nicht mehr fähig, schrieb der Opposition­spolitiker und ehemalige Tüik-Chef Birol Aydemir auf Twitter.

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