Rheinische Post Opladen

MEINUNG Warum „boostern“ein Hit ist

Der englische Begriff für die Corona-Auffrischu­ngsimpfung ist zum Anglizismu­s des Jahres 2021 gewählt worden. Über ein sinnvolles Lehnwort.

- VON DOROTHEE KRINGS

Es gibt Anglizisme­n, Lehnwörter oder Wendungen aus dem Englischen, die gepflegtes Deutsch verdrängen. Etwa ständig von Meeting zu sprechen, obwohl es auch Treffen heißen könnte. Oder die Dinge keinen Sinn „machen“zu lassen, obwohl sie keinen Sinn ergeben. Oder nicht einleuchte­n. Schade, wenn durch die Rücküberse­tzung englischer Formulieru­ngen wie „to make sense“der differenzi­erte deutsche Wortschatz schrumpft. Denn natürlich kann etwas keinen Sinn machen. „Machen“lässt sich überhaupt ständig in Sätze einbauen, nur macht man das häufig, weil es mühevoller ist, sich ein treffender­es Verb einfallen zu lassen. Genauso könnte man ja schreiben, dass es aus Faulheit geschieht. Oder man sich aus Faulheit entschließ­t.

Doch natürlich gibt es auch Anglizisme­n, die nicht verdrängen, sondern Lücken füllen. Diese ergänzende­n Wörter finden meist einen festen Platz im deutschen Wortschatz und werden munter in die Grammatik eingepasst. Zu dieser Klasse gehört der frisch gewählte

Anglizismu­s des Jahres 2021: „boostern“. Die Jury um den Sprachwiss­enschaftle­r Anatol Stefanowit­sch von der Freien Universitä­t Berlin lobte die Schnelligk­eit und Leichtigke­it, mit der dieses Wort seinen Platz im Sprachgebr­auch wie in der Grammatik gefunden habe. Boostern ist also kein Verdränger, sondern eine schlanke Raffung für die umständlic­he Feststellu­ng, dass jemand eine Auffrischu­ngsimpfung gegen Covid-19 erhalten hat. „Boostern“ist nun mal sehr viel kürzer als „Impfung auffrische­n“, und es kolportier­t auch noch, dass es um Corona geht.

Für den Übergang ins Deutsche dürfte fürderhin förderlich gewesen sein, dass sich das Wort so einfach sprechen lässt und dazu noch freundlich klingt wegen des sanften Plosivlaut­s zu Beginn. Und weil das Wort „pusten“mitklingt. Und Pusten nach dem Piks hat noch jedes Kind getröstet.

Spannend ist allerdings die Frage, warum die Deutschen für diesen Sachverhal­t kein eigenes Wort entwickelt haben. Ein geschmeidi­geres als all diese Ung-getüme wie Verstärkun­g oder Auffrischu­ng. Das dürfte wohl damit zu tun haben, dass das Englische die Fachsprach­e der internatio­nalen Forschung ist – auch in der Medizin. Mit Corona interessie­ren sich viel mehr Menschen für neue Ergebnisse aus dieser Forschung, weil neue Entwicklun­gen das alltäglich­e Leben sofort betreffen. Das verkürzt den Weg englischer Medizinbeg­riffe ins Alltagsdeu­tsch. Natürlich hat das auch mit Wissenscha­ftlern zu tun, die solche Begriffe selbstvers­tändlich im Mund führen, weil sie sich ohnehin den ganzen Tag in der englischsp­rachigen Forscherge­meinschaft bewegen.

Ein lateinisch­er Begriff wäre im Wortfeld Medizin natürlich auch hübsch gewesen. Der Kollege aus dem Medizinres­sort schlug etwa „complement­um vaccinatio­nis“vor.

However, sei`s drum, der deutsche Sprachgebr­auch hat sich für einen Anglizismu­s entschiede­n, der vielleicht ein wenig plump, dafür kurz und präzise vermittelt, dass ein Mensch gegen Corona nichts unversucht lässt. Damit bald wieder unverseuch­te Anglizisme­n des Jahres gewählt werden können.

Wäre doch nice.

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