MEINUNG Warum „boostern“ein Hit ist
Der englische Begriff für die Corona-Auffrischungsimpfung ist zum Anglizismus des Jahres 2021 gewählt worden. Über ein sinnvolles Lehnwort.
Es gibt Anglizismen, Lehnwörter oder Wendungen aus dem Englischen, die gepflegtes Deutsch verdrängen. Etwa ständig von Meeting zu sprechen, obwohl es auch Treffen heißen könnte. Oder die Dinge keinen Sinn „machen“zu lassen, obwohl sie keinen Sinn ergeben. Oder nicht einleuchten. Schade, wenn durch die Rückübersetzung englischer Formulierungen wie „to make sense“der differenzierte deutsche Wortschatz schrumpft. Denn natürlich kann etwas keinen Sinn machen. „Machen“lässt sich überhaupt ständig in Sätze einbauen, nur macht man das häufig, weil es mühevoller ist, sich ein treffenderes Verb einfallen zu lassen. Genauso könnte man ja schreiben, dass es aus Faulheit geschieht. Oder man sich aus Faulheit entschließt.
Doch natürlich gibt es auch Anglizismen, die nicht verdrängen, sondern Lücken füllen. Diese ergänzenden Wörter finden meist einen festen Platz im deutschen Wortschatz und werden munter in die Grammatik eingepasst. Zu dieser Klasse gehört der frisch gewählte
Anglizismus des Jahres 2021: „boostern“. Die Jury um den Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch von der Freien Universität Berlin lobte die Schnelligkeit und Leichtigkeit, mit der dieses Wort seinen Platz im Sprachgebrauch wie in der Grammatik gefunden habe. Boostern ist also kein Verdränger, sondern eine schlanke Raffung für die umständliche Feststellung, dass jemand eine Auffrischungsimpfung gegen Covid-19 erhalten hat. „Boostern“ist nun mal sehr viel kürzer als „Impfung auffrischen“, und es kolportiert auch noch, dass es um Corona geht.
Für den Übergang ins Deutsche dürfte fürderhin förderlich gewesen sein, dass sich das Wort so einfach sprechen lässt und dazu noch freundlich klingt wegen des sanften Plosivlauts zu Beginn. Und weil das Wort „pusten“mitklingt. Und Pusten nach dem Piks hat noch jedes Kind getröstet.
Spannend ist allerdings die Frage, warum die Deutschen für diesen Sachverhalt kein eigenes Wort entwickelt haben. Ein geschmeidigeres als all diese Ung-getüme wie Verstärkung oder Auffrischung. Das dürfte wohl damit zu tun haben, dass das Englische die Fachsprache der internationalen Forschung ist – auch in der Medizin. Mit Corona interessieren sich viel mehr Menschen für neue Ergebnisse aus dieser Forschung, weil neue Entwicklungen das alltägliche Leben sofort betreffen. Das verkürzt den Weg englischer Medizinbegriffe ins Alltagsdeutsch. Natürlich hat das auch mit Wissenschaftlern zu tun, die solche Begriffe selbstverständlich im Mund führen, weil sie sich ohnehin den ganzen Tag in der englischsprachigen Forschergemeinschaft bewegen.
Ein lateinischer Begriff wäre im Wortfeld Medizin natürlich auch hübsch gewesen. Der Kollege aus dem Medizinressort schlug etwa „complementum vaccinationis“vor.
However, sei`s drum, der deutsche Sprachgebrauch hat sich für einen Anglizismus entschieden, der vielleicht ein wenig plump, dafür kurz und präzise vermittelt, dass ein Mensch gegen Corona nichts unversucht lässt. Damit bald wieder unverseuchte Anglizismen des Jahres gewählt werden können.
Wäre doch nice.