Prozess wegen Belästigung im Zug
Ein 38-jähriger Mann muss sich wegen sexueller Belästigung vor Gericht verantworten. Das Urteil muss aber noch warten, weil der Betreuer nicht anwesend war. Das Opfer leidet bis heute.
LANGENFELD Während der Angeklagte sich nicht mehr daran erinnern konnte, was er vor einem guten Jahr einer Frau im Intercity zwischen Münster und Bremen angetan hatte, stand das Opfer weinend im Flur des Langenfelder Amtsgerichtes, sichtbar gezeichnet von den Erlebnissen damals. Die Frau mittleren Alters kann trotz therapeutischer Hilfe nicht vergessen, wie der angetrunkene 38-jährige Mann aus Tibet sich am 23. Januar im Zug dicht neben sie setzte und seine Hand auf ihren Oberschenkel legte und immer höher glitt. Auf Ansprache und Ermahnung reagierte er nicht.
Wegen sexueller Belästigung stand der Mann jetzt vor dem Langenfelder Amtsgericht. Doch Richterin Nicole Klaus musste das Verfahren schon nach einer halben Stunde vertagen. Es stellte sich heraus, dass der Bewohner eines Asylbewerberheims, der selbst vorgab, kaum etwas vom Geschehen im Gericht zu verstehen, einen gesetzlichen Betreuer hat, ohne den die Verhandlung nicht stattfinden kann. Während ein Verteidiger und ein Dolmetscher sowie eine Bewährungshelferin des vielfach einschlägig Vorbestraften anwesend waren, fehlte der Betreuer.
Erst einmal sorgte der Angeklagte für Verwirrung, nachdem er seine Nationalität nicht angeben konnte. Er habe nie einen Pass besessen, sagt der Mann, der seit sieben Jahren in Langenfeld lebt. Auch den Grund, warum er in jenem Januar im Zug nach Münster saß, wusste er nicht mehr zu sagen. Er meinte, seine Tasche bei einer früheren Fahrt am Bahnhof Münster liegengelassen zu haben. Die Tasche hatte er erst vor einem Jahr in Münster vergessen, klärte die Bewährungshelferin auf. Die könne nicht der Grund für die Reise gewesen sein.
Das Opfer, das kurz bei der Eröffnung des Verfahrens in den Saal gerufen wurde, erkannte er nicht wieder. „Keine Erinnerung daran!“, sagt er. „Ich weiß nicht, was ich da gemacht haben soll.“Wie das denn sein könne, wollte die Richterin wissen. Ob er denn häufiger Alkohol trinke? Letzteres gab der unscheinbar wirkende Mann hinter seiner Maske unumwunden zu. „Ja, ich trinke manchmal Alkohol.“Er sei seit seinem neunten Lebensjahr ohne Eltern, und jetzt auf einmal hier weit weg von der Heimat Tibet.
Auf Nachfrage, ob er schon häufiger vor Gericht gestanden hätte, antwortete der Mann: „Ich habe schon einige Strafen bezahlt. Und dann war es immer gut.“Wieso und warum, konnte er nicht erklären. Im Laufe der Nachfragen der Richterin, die von einem Dolmetscher ins Englische übersetzt wurden, stellte sich heraus, dass der Mann weder auf Deutsch noch auf Englisch begriff, um war es da vor Gericht überhaupt ging. „So können wir nichts machen“, sagte Nicole Klaus.
Letztlich wolle man ja mit einer Strafe auf den Angeklagten und sein verbotenes Tun einwirken. Das sehe sie in diesem Fall nicht. Zu einem Urteil könne es ohne den gesetzlichen Betreuer ohnehin nicht kommen. „Wir müssen einen neuen Termin ansetzen mit Betreuer und einem Übersetzer, der Tibetisch spricht.“
Für das Opfer aus Hamburg, das extra angereist war, war dies eine herbe Enttäuschung. „Für mich ist es wichtig, das hier abzuschließen. Der Mann muss aus dem Verkehr gezogen werden, dass er niemanden mehr so etwas antun kann“, sagte sie. Unter Tränen bekannte sie, dass sie nach dem Vorfall in der Bahn zwei Monate lang ihre Wohnung nicht habe verlassen können. Der Grund: massive Angstzustände. Sie habe zwei Jobs gehabt und einen davon, den im Verkauf, kündigen müssen. „Da hatte ich Angst vor den vielen Menschen.“Auch könne sie seit dem Vorfall nicht mehr UBahn fahren und habe sich ein Auto zulegen müssen, um sich sicher zu fühlen. Seit einem Jahr sei sie wegen Angst- und Ekel-Zuständen in Behandlung. „Ich will mein altes Leben zurück“, sagte sie. Und das könne nur geschehen, indem der Mann, der ihr das angetan habe, verurteilt werde.