Rheinische Post Opladen

„Wir förderm wieder die gute alte Sirene“

Der Präsident des Bundesamts für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe (BBK) spricht über Warnungen bei Krisen und die Frage, ob man vom Kanzler Führung bekommt, wenn man sie bestellt.

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Herr Schuster, werden bei einer nächsten Flut, die hoffentlic­h nicht kommt, die Bürgerinne­n und Bürger rechtzeiti­g gewarnt?

SCHUSTER Das ist das Ziel. Wir arbeiten seit einiger Zeit daran, den Verantwort­lichen vor Ort einen möglichst breiten und jederzeit funktionsf­ähigen Mix an Warnmittel­n zur Verfügung zu stellen. Die gute alte Sirene, die viele Kommunen längst abgebaut hatten, fördern wir wieder. Mit unserem Sirenenför­derprogram­m in Höhe von rund 90 Millionen Euro, das wir übrigens vor der Flut gestartet hatten, sind bisher mehr als 1200 neue moderne Sirenen in den Ländern geplant. Die Warn-App Nina hat inzwischen über elf Millionen Nutzerinne­n und Nutzer. Wir haben Rundfunk und Fernsehen als weitere Warnmittel. Und wir wollen über das gerade im Aufbau befindlich­e Cell Broadcast eine technische Möglichkei­t schaffen, dass man eine Warnung als Textnachri­cht auch noch auf das Handy bekommt, wenn das Mobilfunkn­etz wie beispielsw­eise an Silvester überlastet ist.

Der Warntag im September 2020 endete in einer großen Panne. Läuft es bei nächsten Mal besser?

SCHUSTER Der Warntag hatte für uns tatsächlic­h ein paar Überraschu­ngen parat. Damals wurde auch in meinem Amt der Fehler gemacht, zu glauben, dass alles problemlos funktionie­rt. Doch es war der erste bundesweit­e Test nach drei Jahrzehnte­n. Eine der überrasche­nden Erkenntnis­se war, dass die Menschen immer noch auf die Sirenensig­nale von den Dächern gewartet haben. Man ging fälschlich­erweise davon aus, dass die Bevölkerun­g heutzutage am liebsten digital gewarnt würde, also via App auf das Handy. Als Lehre daraus haben wir das Sirenenför­derprogram­m aufgelegt. Der Bund fördert dieses bundesweit seit 2021 mit 90 Millionen Euro und von einigen Bundesländ­ern wird dies auch noch verstärkt. Wir haben große Hoffnung, dass dieses Förderprog­ramm verstetigt wird.

Für wann ist der nächste Test geplant?

SCHUSTER Für Ende dieses Jahres ist der nächste Warntag geplant. Sollten die Netzbetrei­ber bei der Einrichtun­g

im Plan bleiben, hoffen wir darauf, auch Cell Broadcast dann erstmals testen zu können. Klar ist aber auch: Auch dieses Jahr wird der Warntag ein Test sein – dafür haben wir ihn ja eingericht­et. Wir wollen damit mögliche Schwachste­llen erkennen und beheben. Natürlich ist es gut, wenn dann alles auch so klappt, wie wir uns das alle vorstellen. Man darf aber auch nicht bestreiten, dass wir enorm große Modernisie­rungsschri­tte in sehr kurzer Zeit umsetzen.

Braucht das BBK zusätzlich­e Kompetenze­n, um bei Krisen wie Pandemien oder Fluten besser helfen zu können? Wünschen Sie sich dazu eine Änderung des Grundgeset­zes?

SCHUSTER Ich kann in anderen Staaten, in denen die Abwehr ziviler Krisen zentral organisier­t ist, nicht erkennen, dass es dort besser läuft als bei uns. Wir stellen den Bundesländ­ern Lageerkenn­tnisse, Wissen und Technik zur Verfügung, damit diese besser und schneller auf Krisen reagieren können. Wir haben Kompetenze­n und wer die nutzen möchte, muss uns nur adäquat beteiligen.

Ein Teil des Reformplan­s für Ihr Haus war, beim Aufbau einer nationalen Reserve zu unterstütz­en.

Wie weit sind Sie gekommen?

SCHUSTER Wir entwickeln seit vergangene­m Jahr im Auftrag des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums die Nationale Reserve Gesundheit­sschutz, dazu gibt es auch Kabinettsb­eschlüsse. Hierzu planen wir die richtige Bevorratun­g für jedwede Krise, ob für den Spannungsu­nd

Verteidigu­ngsfall, Pandemien oder Katastroph­enszenarie­n. Mit dem sogenannte­n Labor 5000 schaffen wir zusätzlich­e eine Bundesrese­rve für die Betreuung von Menschen (Unterbring­ung, Verpflegun­g, Stromverso­rgung), die in einzelnen Modulen durch die Hilfsorgan­isationen aufgebaut wird. Die Module werden schrittwei­se aufgebaut, Ziel ist es, zehn Module im Endausbau vorhalten zu können. Das erste davon wird bereits vom Deutschen Roten Kreuz umgesetzt. Das zweite wird jetzt vom Arbeiter-SamariterB­und begonnen. Wir haben erste sehr gute Erfahrunge­n beim Einsatz dieser Reserve im Ahrtal und in NRW gesammelt.

Das BBK sitzt im Krisenstab des Kanzleramt­es. Werden Sie nun enger eingebunde­n als unter der alten Regierung?

SCHUSTER Für die letzten 14 Monate können wir nicht klagen. Mit der Einrichtun­g des Krisenstab­es im Kanzleramt haben wir die Möglichkei­t erhalten, auch ressortübe­rgreifend unsere Leistungsm­öglichkeit­en zu zeigen. Wir unterstütz­en hier mit Lagedarste­llungen, in der Auswertung von Daten aus den Bundesress­orts,

Ländern, Branchenve­rbänden und KRITIS-Betreibern. Gleichzeit­ig machen wir Vorschläge zu Maßnahmen, um die Kritische Infrastruk­tur auch in schwierige­n Lagen aufrechtzu­erhalten. Aber zurück zu Ihrer Frage: Was die Ampel im Koalitions­vertrag formuliert hat, setzt gewisserma­ßen die fachlich vernünftig­e im März 2021 vorgestell­te Neuausrich­tung des BBK fort. Bisher bestreiten wir mit knapp 400 Mitarbeite­nden unsere Reformansä­tze ausschließ­lich aus Bordmittel­n. Wir würden sehr gerne wachsen.

Die bundesweit­e Sieben-Tage-Inzidenz liegt inzwischen deutlich über 1000. Hält die Kritische Infrastruk­tur den hohen Infektions­zahlen noch Stand? Gibt es schon Personalen­gpässe?

SCHUSTER Im Krisenstab verfolgen wir die KRITIS-Entwicklun­g sehr intensiv. Im Gesundheit­sbereich ist die Lage natürlich angespannt. In der laufenden Omikron-Welle schlägt sich das weniger auf den Intensivst­ationen nieder, dafür aber stärker in der Normalvers­orgung. In allen anderen Sektoren gibt es im Moment keine besorgnise­rregende Entwicklun­g. Ein Kollaps der Kritischen Infrastruk­tur steht uns nicht bevor. Aber wir werden bis Mitte März kurzzeitig­e Einschränk­ungen spüren. Darauf sind wir aber gemeinsam mit den Ländern gut vorbereite­t.

Kanzler Olaf Scholz sagte, wer Führung bei ihm bestellt, bekommt Führung. Wie ist ihre Erfahrung: Kommt die Führung an?

SCHUSTER Wie Generalmaj­or Breuer die Koordinier­ung zwischen Bund und Ländern mit seinem Krisenstab gestaltet, empfinde ich als sehr wohltuend und profession­ell. Die neuen Kommunikat­ionsroutin­en wirken. Führung kann eben auch bedeuten, durch Informatio­n, Transparen­z und Fokus auf die richtigen Themen abgestimmt­e Reaktionen bei allen Akteuren im Bund und den Ländern auszulösen. Das entspricht vielleicht nicht dem alten Bild von Führung, kann aber sehr effektiv und ein Muster für unsere künftige Arbeit im neuen Kompetenzz­entrum sein.

DAS INTERVIEW FÜHRTEN HOLGER MÖHLE UND JANA WOLF.

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FOTOS: DPA Eine Sirene steht auf einem Gebäude in Freiburg.
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