EU verdoppelt Waffenhilfe für Ukraine
Auf bis zu zehn Millionen Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet stellt sich die Europäische Union in den nächsten Wochen ein. Sie stockt zudem die Mittel für Waffenlieferungen auf und zieht Konsequenzen für die eigene Verteidigung.
BRÜSSEL Es sollte ein Zeichen des gegenseitigen Einstehens füreinander sein: Bei der neuen EU-Sicherheitsstrategie, so kündigte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht am Montag in Brüssel an, werde Deutschland „das militärische Herzstück, die Schnelle Eingreiftruppe,“stellen. Das hätte bedeutet, dass 5000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zum Auftakt 2025 diesen Kampfverband bilden. Doch schon wenige Stunden später stellte das Verteidigungsministerium per Twitter zu Lambrechts Angebot klar: Es geht lediglich um den „Kern“der Truppe, also um deutlich weniger Soldaten. Lambrecht hatte sich vor den Kameras beim Treffen der EUAußenund Verteidigungsminister offensichtlich vergaloppiert.
Zugleich musste die Ministerin einräumen, dass Deutschland bei den Waffenlieferungen an die Ukraine blank ist. Schon zuvor war darüber spekuliert worden, dass Deutschland der Ukraine seit Wochen nur sehr geringe Bestände an Waffen zur Verfügung stellt. Einzelheiten sind nicht überprüfbar, da sie der Geheimhaltung unterliegen. „Wir können aus Beständen der Bundeswehr kaum mehr etwas liefern, ich würde fast sagen, dass wir nichts mehr liefern können“, sagte Lambrecht am Rande von Beratungen der EU-Außenund Verteidigungsminister in Brüssel. Es bleibe dabei, dass über das Wann, das Was und das Wohin von Waffenlieferungen auch weiterhin keine Auskünfte gegeben würden, um die am Transport Beteiligten zu schützen. Es gebe jedoch auch für Deutschland die Möglichkeit, der Ukraine durch gezielte Ankäufe von Waffen zu helfen.
Bereits am Morgen hatte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) angekündigt, dass die Mittel der EU für Waffenhilfe für die Ukraine auf eine Milliarde Euro verdoppelt werden. Deutschland übernehme davon 26 Prozent, erläuterte Lambrecht. Beide Ministerinnen unterstrichen, dass dieses Ministertreffen unter dem Eindruck der schrecklichen
Bilder der brutalen Angriffe der russischen Streitkräfte stehe. Russland halte sich an keine Kriegsregeln und sei dazu übergegangen, ganze Städte, Wohngebiete und wahllos Menschen zu vernichten, klagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell.
Vor allem die Zerstörung der Stadt Mariupol stand im Mittelpunkt der Gespräche der EU-Minister, die sich vom ukrainischen Verteidigungsministerium
auf den letzten Stand bringen ließen. Ein Ultimatum Russlands zur Kapitulation der Stadt hatte die Ukraine zurückgewiesen. „Was in Mariupol geschieht, ist ein massives Kriegsverbrechen“, sagte Borrell. Zugleich beschäftigten sich die EU-Minister mit der Nachricht, dass Russland Hyperschallraketen abgefeuert haben soll.
Vor allem Minister aus osteuropäischen Ländern drängten ihre Kollegen zu einer weiteren Verschärfung der Sanktionen. Seine roten Linien seien längst überschritten, sagte Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis. Nachdrücklich bestand er auf einem Importstopp für russisches Öl, mit dem Moskau den Krieg refinanziere. Seine Kritik an deutschen Vorbehalten machte der Politiker überdeutlich. Er sehe, wie die deutsche Öffentlichkeit die Regierung zu überzeugen versuche. „Ich hoffe, sie setzt das fort und ist erfolgreich“, so Landsbergis. Baerbock berichtete am Nachmittag davon, dass die EU-Minister damit begonnen hätten, Schlupflöcher bei den Sanktionen
zu schließen und weitere Verschärfungen vorzubereiten.
„Die Flüchtlingskrise hat gerade erst begonnen“, erklärte Landsbergis. Nach Angaben Baerbocks sind bereits mehr als drei Millionen Ukrainer ins Ausland geflüchtet. Man müsse sich darauf einstellen, dass es in den nächsten Wochen zwischen acht und zehn Millionen werden, sagte Baerbock. Sie schlug ihren Kollegen die Bildung von „humanitären Hubs“vor, also zentralen Anlauf- und Verteilstellen für die europaweite Logistik zur Unterbringung der Menschen. Deutschland werde sich mit Frankreich und Rumänien nun vor allem um eine Unterstützung von Moldawien bemühen. Für den 5. April sei in Berlin eine große Geberkonferenz geplant. Jeder EU-Mitgliedstaat müsse sich auf die Aufnahme von Hunderttausenden Flüchtlingen vorbereiten; auch eine Verteilung über den Atlantik hinweg sei nötig. „Wir erleben die größte humanitäre Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg“sagte die deutsche Außenministerin.