Rheinische Post Opladen

Die Gefahr des Hungers

Der Krieg bedroht die globale Getreideve­rsorgung. Die EU will schnell reagieren.

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Hunderttau­sende von Ukrainern sind von der Lebensmitt­elversorgu­ng abgeschnit­ten. Die Welt sorgt sich, dass die Truppen von Russlands Präsident Wladimir Putin die Bevölkerun­g nicht nur bombardier­en, sondern regelrecht aushungern. Doch zugleich wachsen die Sorgen, dass bis zu 100 Millionen Menschen in den afrikanisc­hen und auch in einigen arabischen Ländern in absehbarer Zeit hungern müssen. Denn Russland und die Ukraine stellen fast ein Drittel der weltweiten Mais- und Getreideli­eferungen. Einzelne Länder sind nahezu völlig davon abhängig. Mit dem Kapern von Frachtschi­ffen mit Lebensmitt­eln hat Russland die Krise jetzt schon verschärft – und will nun nur noch solche Länder beliefern, die dem Regime in Moskau freundlich gesinnt sind.

Hier werde „Weizen als Waffe“eingesetzt, kritisiert der Grünen-Agrarexper­te Martin Häusling. Es ärgere ihn, dass sich die EU-Agrarpolit­iker fast ausschließ­lich mit den Auswirkung­en auf die Lebensmitt­elsituatio­n in Europa befassten und kaum mit Möglichkei­ten, den afrikanisc­hen Ländern kurzfristi­g zu helfen. Er erinnert daran, dass die Unruhen des arabischen Frühlings durch Lebensmitt­elpreise ausgelöst wurden, und hält es nicht für ausgeschlo­ssen, dass Putin das Mittel einsetzt, um durch weitere Millionen von Hungerflüc­htlingen die EU zusätzlich zu destabilis­ieren.

Vor allem sorgen sich die Grünen um das Schicksal der grünen Landwirtsc­haft. Die Einzelheit­en sind zwar noch nicht bekannt. Aber die angekündig­ten Notfall-Mechanisme­n,

die die EU-Kommission auf dem Feld der Agrarpolit­ik auslösen will, scheinen sich um zusätzlich­e Hilfen für Schweinezü­chter und die Entwidmung von ökologisch­en Reserveflä­chen zu drehen, auf denen künftig wieder Getreidean­bau ermöglicht werden könnte. „Man kann Schweine und Hühner auch mal weniger intensiv mästen“, meint der Europa-Abgeordnet­e der Grünen. Zudem seien die aus der Bewirtscha­ftung genommenen Öko-Flächen kaum für den Getreidean­bau geeignet.

Die Agrarminis­ter der EU befassten sich bei ihrem Treffen am Montag in Brüssel mit dem forcierten Anbau von Eiweißpfla­nzen wie Soja. Damit wollen sie den Staatenbun­d unabhängig­er von Futterimpo­rten machen. Der Krieg in der Ukraine habe nochmals klargemach­t, wie abhängig Europa von Drittstaat­simporten sei. Nicht nur für das Getreide, auch für den Dünger sind die Importe aus der Ukraine und Russland wichtig. Sowohl Russland als auch

China haben den Export wichtiger Grundstoff­e eingestell­t. Die Kommission will sich an diesem Mittwoch mit schnellen Eingriffen in die Agrarpolit­ik befassen und dem EUParlamen­t Vorschläge vorlegen, wie etwa eine „Interventi­on im Fleischsek­tor“ausgestalt­et werden kann. Derzeit werden nur 20 Prozent des vorhandene­n Getreides für die Lebensmitt­elprodukti­on verwandt. Mehr als die Hälfte wird zu Futtermitt­eln verarbeite­t. Als Stellschra­uben gelten auch die Getreideme­ngen, die für die Energieerz­eugung eingesetzt werden.

Nach Angaben von Agrarstaat­ssekretäri­n Silvia Bender unterstütz­t die Bundesregi­erung die Initiative Österreich­s zum erleichter­ten Anbau von Eiweißpfla­nzen. Damit sinke das Risiko, dass andere Länder für den Futtermitt­elanbau ihre Wälder abholzten. Vor den ökologisch­en und ökonomisch­en Folgen in den Ländern der Dritten Welt hatte auch das Entwicklun­gsminister­ium wiederholt gewarnt.

 ?? ?? Ein Getreidefe­ld bei Pulheim im vorletzten Sommer. Die EU will sich unabhängig­er von Agrarimpor­ten machen.
Ein Getreidefe­ld bei Pulheim im vorletzten Sommer. Die EU will sich unabhängig­er von Agrarimpor­ten machen.

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