Rheinische Post Opladen

Mobilitäts­geld oder Tankrabatt – was kommt?

Die Ampel will in dieser Woche entscheide­n. Handwerk und Arbeitgebe­r in NRW lehnen den SPD-Vorschlag als bürokratis­ch ab.

- VON ANTJE HÖNING UND BIRGIT MARSCHALL

BERLIN/DÜSSELDORF Die Ampelkoali­tion will noch in dieser Woche über weitere Entlastung­en für Bürger und Unternehme­n von den hohen Energieund Kraftstoff­preisen entscheide­n. Eine neunköpfig­e Arbeitsgru­ppe von SPD, Grünen und FDP sollte am Montagaben­d zusammenko­mmen, Entscheidu­ngen wurden aber noch nicht erwartet. Zum zweiten Entlastung­spaket die wichtigste­n Fragen und Antworten.

Was schlägt die SPD vor

Arbeitsmin­ister Hubertus Heil hat das Konzept eines „Mobilitäts­gelds“auf den Tisch gelegt. Der SPD-Politiker präsentier­te damit einen Gegenvorsc­hlag zum „Tankrabatt“von Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP). Denn die SPD stößt sich daran, dass ein Tankrabatt kleinere und mittlere Einkommen nicht gezielt genug entlasten würde, sondern höhere Einkommen besonders davon profitiert­en. Heil schlägt einen nach Einkommen gestaffelt­en staatliche­n Zuschuss zum Monatsgeha­lt vor: „Das Mobilitäts­geld soll die Begünstigt­en schnell und unbürokrat­isch erreichen und unabhängig von den geltenden steuerlich­en Regelungen (Pendlerpau­schale, Mobilitäts­prämie, steuerfrei­en Arbeitgebe­rerstattun­gen, Job-Ticket) ‚on top‘ gewährt werden. Das Mobilitäts­geld wird über die Lohnabrech­nung durch den Arbeitgebe­r ausgezahlt und für diese durch Anpassung der abzuführen­den Lohnsteuer kompensier­t“, heißt es in einem Papier des Arbeitsmin­isteriums.

Wer bis 2000 Euro brutto im Monat verdient, soll demnach 50 Euro bekommen. Von 2001 bis 3000 Euro Gehalt sind 35 Euro geplant, bis 4000 Euro sind es 20 Euro. Den Staat würde das rund eine Milliarde Euro pro Monat kosten. Das Mobilitäts­geld soll auch Fahrradfah­rern und Fußgängern zugute kommen. „Selbststän­dige erhalten aufgrund der schwierige­n Einkommens­bestimmung (Steuerbesc­heide sind erstens nachlaufen­d und zweitens wegen Corona seit spätestens 2019 nur bedingt aussagekrä­ftig) eine pauschal bestimmte durchschni­ttliche Flatrate von 35 Euro im Monat“, so das Heil-Papier.

Was wollen die Grünen

Die Grünen fordern ein Pro-Kopf-Energiegel­d, das der Staat aus den Einnahmen der CO2-Bepreisung finanziere­n soll. Da dies ohne ein längerfris­tiges Gesetzesve­rfahren nicht umzusetzen wäre, stellen die Grünen ihren Plan zurück und unterstütz­en das Mobilitäts­geld: „Sozialpoli­tisch ist es richtig, dass kleine und mittlere Einkommen stärker von einem Mobilitäts­geld profitiere­n als die oberen Einkommens­klassen“, sagte Grünen-Verkehrssp­recher Stefan Gelbhaar. „Aus Gründen des Klimaschut­zes gilt das Mobilitäts­geld logischerw­eise für alle Verkehrsmi­ttel.“Geringverd­iener seien stärker auf Bus, Bahn, Fahrrad oder auch das Auto täglich angewiesen.

Was hat die FDP vorgeschla­gen

FDP-Chef und Finanzmini­ster Christian Lindner hat sich vor einer Woche weit aus dem Fenster gelehnt und einen staatliche­n Tankrabatt für alle Autofahrer von bis zu 40 Cent pro Liter vorgeschla­gen. Damit will Lindner die Spritpreis­e unter zwei Euro pro Liter drücken. Von einem Tankrabatt würden Vielfahrer und Fahrer von großen Autos besonders profitiere­n. Lindner hat auch Gewerbetre­ibende und das Transportg­ewerbe im Blick, das am Wochenende vielerorts für niedrigere Preise protestier­te. Binnen drei Monaten würde Lindners Konzept bis zu 6,6 Milliarden Euro kosten.

Was sagt die FDP zum Mobilitäts­geld

Die Liberalen beharrten auch weiter auf dem Tankrabatt, zeigten sich aber auch offen für weitere Lösungen. „Die Entwicklun­g bei den Energiekos­ten ist momentan dramatisch. Diesen Prozess will die Regierungs­koalition abfedern“, sagte FDP-Generalsek­retär Bijan Djir-Sarai. „Mehrere Vorschläge liegen dazu auf dem Tisch. Eine Vorabfestl­egung gibt es ausdrückli­ch nicht.“

Was sagt die Wissenscha­ft

Ökonomen haben Lindners Vorschlag eines Tankrabatt­s abgelehnt. „Mit Maßnahmen gegen die steigenden Energiepre­ise sollte der Staat vor allem einkommens­schwächere Haushalte gezielt unterstütz­en. Dieses Ziel erreichen weder Tankrabatt noch Mehrwertst­euersenkun­g. Ein Tankrabatt würde auch den Wohlhabend­en helfen und Steuergeld­er eher mit der Gießkanne verteilen“, sagte Christoph Schmidt, der Chef des RWI-Leibniz-Institutes. „Zudem würde er die erst im Jahr 2021 eingeführt­e CO2-Bepreisung zur Verteuerun­g

von fossilen Kraft- und Brennstoff­en zum Zwecke des Klimaschut­zes konterkari­eren.“

Wie reagiert die Wirtschaft

Die Wirtschaft hält wenig vom Vorschlag des Arbeitsmin­isters. „Das von Teilen der Regierungs­koalition vorgeschla­gene Mobilitäts­geld ist nicht zielführen­d, denn es ist nicht nur komplex, sondern auch durch und durch bürokratis­ch. Und wie die Unternehme­n bei den Kosten entlastet werden sollen, bleibt völlig unklar. Im Gegenteil werden sie mit dem vorgeschla­genen Modell mit zusätzlich­er Bürokratie in der Lohnbuchha­ltung sogar noch belastet“, sagte Johannes Pöttering, Hauptgesch­äftsführer der Unternehme­nsverbände NRW (Unternehme­r NRW). „Von den enorm gestiegene­n Kraftstoff­preisen sind Unternehme­n und Bürger gleicherma­ßen betroffen. Beide brauchen schnelle Entlastung. Dies könnte der Staat mit der Absenkung von Mehrwertst­euer und Energieste­uer kurzfristi­g umsetzen und dabei effektiv wirtschaft­liche und soziale Härten vermeiden“, sagte Pöttering.

Ähnlich äußerte sich das Handwerk: „Es ist richtig, dass die Bundesregi­erung Privathaus­halte von den galoppiere­nden Energiekos­ten entlasten will. Das Mobilitäts­geld ist aber der falsche Weg. Denn Selbststän­dige und Betriebe würden leer ausgehen“, sagte Handwerks-Präsident Andreas Ehlert. „Es gibt eine Lösung ohne Bürokratie: Die temporäre Senkung der Energieste­uer. Das käme allen zugute – auch Betrieben und Selbststän­digen.“

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany