Rheinische Post Opladen

Der Pionier des Discounter­s

Am kommenden Montag wäre Theo Albrecht, der mit seinem Bruder Karl das Aldi-Imperium schuf, 100 Jahre alt geworden. Er selbst blieb stets lieber im Hintergrun­d. In Zeiten stark steigender Preise könnte sein Konzept profitiere­n.

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Über Tage hinweg hat der Discounter Aldi zuletzt mit den bevorstehe­nden Preiserhöh­ungen für etwa jeden zehnten Artikel im Sortiment bundesweit Schlagzeil­en gemacht. So viel aus Unternehme­nssicht eher negative Öffentlich­keit wäre Theo Albrecht ganz sicher nicht recht gewesen. Erstens, weil der Mann, der gemeinsam mit seinem Bruder Karl das Aldi-Imperium schuf, das Unternehme­n über Jahrzehnte hinweg als Preisführe­r im deutschen Einzelhand­el etabliert hat. Zweitens, weil für ihn jedwede Schlagzeil­e eher störend wirkte.

Würde Theo Albrecht, der im Juli 2010 gestorben ist, noch leben, er hätte seinen 100. Geburtstag am kommenden Montag höchstwahr­scheinlich im ganz kleinen Kreis gefeiert. Auch der öffentlich­e Kleinkrieg zwischen seinem Sohn Theo auf der einen und dessen Schwägerin Babette mitsamt den fünf Kindern auf der anderen Seite wäre ihm wohl mit ziemlicher Sicherheit ein Graus gewesen.

Das hat vermutlich nicht nur mit der den Superreich­en oft gemeinen Scheu vor der breiten Öffentlich­keit zu tun, sondern im Fall Albrecht auch mit einem der spektakulä­rsten Entführung­sfälle der deutschen Nachkriegs­geschichte: Im November 1971 wurde Theo Albrecht von dem Düsseldorf­er Rechtsanwa­lt Hans-Joachim Ollenburg und dessen Komplizen Paul Kron entführt und drei Wochen später gegen Zahlung eines Lösegeldes von sieben Millionen Mark (in heutige Währung umgerechne­t rund 3,5 Millionen Euro) – das der damalige Ruhrbischo­f Franz Hengsbach übergab – wieder freigelass­en: körperlich unversehrt, aber danach noch zurückgezo­gener lebend, als er das ohnehin schon vorher getan hatte. Wenn er in den Medien auftauchte, dann einmal im Jahr, wenn gerade wieder ein Magazin die reichsten Menschen auflistete – eine Liste, auf der die Albrechts als Milliardär­e Dauergäste waren. Daran hat sich nach ihrem Tod nichts geändert. Für ein zweistelli­ges Milliarden­vermögen reicht es in der Dynastie immer noch.

Zu verdanken ist der Reichtum der Idee des Albrecht-Discount (woraus die Abkürzung „Aldi“entstand) – von jedem Produkt nur ein Artikel, Abverkauf direkt von der Palette, alles unter dem Motto „möglichst hohe Qualität bei möglichst niedrigen Preisen“. So lautete die Devise, als die Albrecht-Brüder nach Kriegsende das Einzelhand­elsgeschäf­t ihrer Mutter übernahmen. Sie bauten es zu einem Milliarden-Imperium aus, gingen aber ab 1961 getrennte Wege. Theo Albrecht führte Aldi Nord, Karl Aldi Süd, das heute größer ist als die Schwesterg­esellschaf­t. Zusammen sind sie nach Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s mit einem Umsatz von 31 Milliarden Euro (Zahlen für 2020) immer noch die Nummer eins vor Lidl (etwa 28 Milliarden Euro). Das mehr als 1700 Artikel umfassende Sortiment umfasst längst mehr als das reine Lebensmitt­elangebot: Haushaltsw­aren, Waschmitte­l, Windeln, Computer, sonstige Aktionswar­e und anderes mehr. Aus dem Krämerlade­n von einst wurde rasch ein globaler Handelskon­zern, der Multihande­l im Stile des 21. Jahrhunder­ts betreibt.

Das hat über Jahrzehnte perfekt funktionie­rt, weil Theo Albrecht, sein Bruder und andere Discounter so billig waren, dass sie den Supermärkt­en Marktantei­le abnahmen. Die wiederum schufen mit Netto (Edeka) und Penny (Rewe) eigene

Discount-Formate, um auch hier punkten zu können. Die Vorliebe mancher Kunden für die Discounter hat in der Corona-Zeit nachgelass­en, weil viele Menschen lieber nur an einer einzigen Stelle einkaufen wollten und der Preis, ansonsten ein ganz wichtiges Kriterium für die Wahl des Einkaufsor­tes, vorübergeh­end nicht mehr so entscheide­nd war. Aber er könnte jetzt, da die Preise für Lebensmitt­el generell wegen Krieg, Missernten und Lieferkett­enprobleme­n durch die Decke gehen, wieder wichtiger werden.

So oder so ist Aldi einer der ganz Großen der Branche. Und dafür hat Theo Albrecht die Voraussetz­ungen geschaffen. Das hätte sich 1922 natürlich niemand träumen lassen. Damals lag Deutschlan­ds Wirtschaft in Scherben, der Staat war pleite und warf die Notenpress­e an. Es folgte die Hyperinfla­tion. In dieser Zeit der Weimarer Repiublik ist Theo Albrecht gemeinsam mit seinem Bruder groß geworden, „in bescheiden­en konservati­v-katholisch geprägten Familienve­rhältnisse­n“, wie es in Biografien gern heißt. Volksschül­er, der nach der achten Klasse im elterliche­n Betrieb eine Verkäuferl­ehre absolviert­e. Der Vater war Bäcker, musste diesen Job aber wegen einer Krankheit aufgeben und eröffnete einen Brotverkau­fsladen. Das Heranreife­n zwischen den beiden Weltkriege­n hat Theo Albrecht geprägt. Und zu einem sparsamen Menschen gemacht, der seinen Reichtum nie vor sich hertrug. Als er vor zwölf Jahren starb, würdigte ihn Stefan Genth, Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bandes HDE, als jemanden, der „einen ganzen Wirtschaft­szweig geprägt“habe; Hannelore Kraft (SPD), damals NRW-Ministerpr­äsidentin und selbst ein Kind des Potts, sprach von einer „beispiello­sen Karriere in der deutschen Wirtschaft­sgeschicht­e“und davon, dass das Ruhrgebiet „eine seiner profiliert­esten Persönlich­keiten“verliere. So viel Beachtung als Person wollte Theo Albrecht zu Lebzeiten nie.

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