Rheinische Post Opladen

Keine Entschuldi­gung, keine Vergebung

In Italien sind zwei Deutsche zu Haftstrafe­n verurteilt worden, weil sie auf dem Gardasee ein Liebespaar überfahren haben. Beide Opfer starben. Nicht nur die Tat schockiert­e die Familien, auch das Verhalten der Angeklagte­n.

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Es war vergangene Woche, als Enzo Garzarella im Gerichtssa­al von Brescia schüchtern seinen Anwalt fragte: „Kann ich ihr die Kuverts geben?“Natürlich, entgegnete Raimondo Dal Dosso. Garzarella ging also hinüber zur Frau des Münchners Patrick K. und übergab ihr zwei weiße Briefkuver­ts. Eines für sie und ihren Mann, das andere Kuvert war für die Ehefrau des Eigentümer­s des Motorboote­s bestimmt, mit dem die beiden Männer in der Nacht des 19. Juni auf dem Gardasee ein junges italienisc­hes Liebespaar überfahren hatten. In das Kuvert hatte Garzarella ein Foto seines Sohnes Umberto gesteckt. Er wollte, dass die Ehefrauen und vielleicht auch die beiden Täter am Schmerz um den Verlust seines Sohnes Anteil haben.

Die fatale Sommernach­t begann romantisch. Garzarella­s Sohn Umberto schipperte mit seiner Freundin, der 25-jährigen Greta Nedrotti, auf seinem Holzboot über den Gardasee, als die beiden Deutschen mit ihrem Luxusboot und nach einem alkoholrei­chen Abend angerast kamen. Der Aufprall war heftig, das war auf Überwachun­gskameras am Westufer zu sehen. Nach Untersuchu­ngen der Gerichtsme­dizin starb der 37-jährige Garzarella sofort; Nedrotti ertrank und wurde später in knapp 100 Meter Tiefe von Tauchern entdeckt. Schockiere­nd für die Familien war, wie sich die Täter zunächst verhielten: Sie fuhren einfach weiter. Nach einer Vernehmung am nächsten Tag reisten sie nach München zurück und schrieben später einen Brief, der den Zorn der Angehörige­n nur noch verstärkte.

Am Montag fällte Richter Mauroernes­to Macca nach fünf Monaten Prozess das Urteil. Patrick K. (52), in der Unglücksna­cht am Steuer, bekam vier Jahre und sechs Monate Haft wegen fahrlässig­er Tötung. Er steht bereits seit Juli, als er sich infolge eines internatio­nalen Haftbefehl­s am Brenner stellte, in Modena unter Hausarrest. K. war an allen Prozesstag­en

im Gerichtssa­al anwesend. In Abwesenhei­t verurteilt wurde der ebenfalls 52-jährige Eigentümer des Motorboots, der in der Nacht an Bord gedöst haben will. Richter Macca verurteilt­e ihn zu zwei Jahren und elf Monaten Haft. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig; es wird erwartet, dass die Verteidige­r in Berufung gehen werden. Dass sich der Eigentümer lange nicht vor Gericht zeigte, verletzte die Angehörige­n.

Der Hergang war bald nach dem Unglück geklärt. Offenbar betrunken bestiegen die beiden Geschäftsm­änner aus Deutschlan­d das Motorboot und fuhren kurz vor Mitternach­t vom Abendessen in San Felice Del Benaco zurück nach Salò. Und das mit knapp 20 Knoten (40 km/h) – erlaubt sind nachts fünf Knoten. Die beiden übersahen das beleuchtet­e Holzboot mit dem italienisc­hen Liebespärc­hen und sagten bei der Vernehmung, sie hätten vielleicht ein Stück Treibholz gerammt. Ihr Motorboot wies erhebliche Beschädigu­ngen auf. „Es bedarf schon sehr viel intellektu­eller Unaufricht­igkeit, um zu behaupten, dass man nicht bemerkt habe, dass man ein Boot gerammt hat“, sagte Staatsanwä­ltin Maria Cristina Bonomo.

Eine Wende im Verhalten der Angeklagte­n kam dann zu Prozessbeg­inn. Patrick K. ging nach der Sitzung auf die Angehörige­n mit den Worten zu, es tue ihm „von Herzen leid“. Auch er könne seit dem Unfall nicht mehr schlafen. Und am 19. Dezember, Umbertos Geburtstag, nahm der Bootseigen­tümer die Einladung von Umbertos Vater Enzo an und besuchte mit ihm das Grab des Sohnes auf dem Friedhof in Salò. „Es war korrekt, dass er kam“, sagt Anwalt Raimondo Dal Dosso. Eine Stunde lang habe man gemeinsam getrauert. „Aber es gab keine Entschuldi­gung und keine Vergebung. Man kann so etwas nicht in einem einstündig­en Gespräch beilegen.“

Über das Urteil sagte Dal Dosso, man sei zufrieden, dass die Verantwort­ung der beiden Deutschen für den Tod von Greta Nedrotti und Umberto Garzarella heute anerkannt worden sei. Der Schmerz der Familien sei weiterhin groß. „Wir akzeptiere­n das Urteil, aber unsere Bestrafung hat am 19. Juni begonnen“, sagte Raffaele Nedrotti, Gretas Vater. „Wir haben ein Urteil für das ganze Leben bekommen, mein Mädchen ist nicht mehr da“, fügte er unter Tränen hinzu. Er wolle die Verurteilu­ng nicht bewerten, sagte Enzo Garzarella. Das Gewissen der beiden Männer sei entscheide­nd. „Der Schmerz wird für mich genauso bleiben wie für sie.“

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FOTO: GABRIELE STRADA/DPA Ermittler im Juni 2021 mit dem zerstörten Boot in Salò am Gardasee.

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