Auf Sparflamme
Gas sparen, Sprit sparen, Strom sparen, beim Einkaufen sparen und womöglich auch noch Wasser sparen – die Sparflamme zählt nicht unbedingt zu den Lichtblicken dieser Tage, die allmählich kürzer werden und bald wohl auch kühler. AfD und Linke stehen indes bereit, auf dieser Flamme ihr Süppchen zu kochen, das vor allem Rechtsextremisten, Pegida-Anhängern, Ausländerfeinden, Corona-Skeptikern und PutinVerstehern schmecken dürfte: Sie rufen für den Herbst zu Protesten auf gegen die Maßnahmen der Bundesregierung zur Bewältigung der Krise infolge des Überfalls Russlands auf die Ukraine.
Die Frage wird sein, wie viele Normalbürgerinnen und -bürger sich daran beteiligen werden. Gut möglich, dass die Initiatoren den Furor der Leute überschätzen. Denn Sparen per se ist hierzulande durchaus nicht negativ besetzt. Nicht wenige halten Sparen sogar für eine deutsche Tugend. Was nicht bedeutet, dass die Sorgen derzeit klein wären.
In einer aktuellen Erhebung des Instituts für Demoskopie Allensbach sagten 70 Prozent der Befragten, sie bemühten sich, sparsam zu leben. Angesichts der Lage mag das nicht verwundern. Doch selbst in den Jahren vor der Corona-Pandemie, die die Möglichkeiten zum Geldausgeben vorübergehend deutlich beschränkte, hatten stets zwischen 62 und 67 Prozent angegeben, sie versuchten, möglichst sparsam zu haushalten. Im europäischen Vergleich sparen die Deutschen mit Abstand am meisten. Und das in einem Land, dessen Bewohner innerhalb einer Generation zweimal einen großen Teil ihrer Ersparnisse verloren – 1923 und 1948.
Sparsamkeit, Verzicht, Entbehrung, Mangel – auf der Enthaltsamkeitsskala wird es nach unten hin signifikant schmerzhafter. Sparen befindet sich da noch im grünen Bereich. Es sparen sogar Menschen, die gar nicht sparen müssten. Bezieher eines monatlichen Nettohaushaltseinkommens zwischen drei- und fünftausend Euro sparen besonders gern, belegt eine Studie im Auftrag des Preisvergleich-Portals Idealo. Demnach erklärten 72 Prozent aller Befragten, Spaß am Sparen zu haben.
Lange bevor Lieferketten rissen, Rohstoffe und Arbeitskräfte rar wurden und die Preise für Energie in nicht vorstellbare Höhen wuchsen, wurde in Deutschland mit der Parole geworben: „Geiz ist geil“. Dabei hat Geiz mit Sparsamkeit herzlich wenig zu tun. Er zählt im Gegenteil zu den sieben Todsünden. Als einen „Mangel im Geben und ein Übermaß im Nehmen“definierte Aristoteles (384-322 v. Chr.) diese unsympathische Charaktereigenschaft. Geiz ist demnach unsozial, Sparsamkeit hingegen zeichnet sich nicht zuletzt durch einen verantwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen aus.
Einen Teil ihrer Popularität verdankte Angela Merkel ihrem schnörkellosen Auftreten im Amt und ihrem bescheidenen Lebensstil als Privatperson. Ein Regierungschef wie Donald Trump, der gerne zeigt, dass er ein Milliardenvermögen besitzt, wäre in Deutschland unvorstellbar. Die Altkanzlerin hingegen rief die schwäbische Hausfrau zur Leitfigur aus: Die wisse, dass man nicht über seine Verhältnisse leben sollte. Merkel war es auch, die zu Beginn der Finanzkrise 2008 versicherte: „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind.“
Das Ethos der Sparsamkeit findet sich bereits in der bäuerlichen Familie der frühen Neuzeit ebenso wie im norditalienischen Geldhandel des 15. Jahrhunderts. Für den Reformator Johannes Calvin (1509-1564) und seine Anhänger waren Fleiß und Bescheidenheit von zentraler Bedeutung für ein gottgefälliges Leben. Verschwendung galt als schwere Sünde. Spätestens im 18. Jahrhundert wurde Sparsamkeit zu einem Wert, der sich zu bürgerlichen Tugenden wie Ordnung, Reinlichkeit und Pünktlichkeit gesellte. Die erste Sparkasse weltweit, eine „Ersparungs-Classe“für „fleissige Personen beyderley Geschlechts“, wurde 1778 in Hamburg gegründet, also in einem protestantisch geprägten Umfeld.
Aber es ist weniger die Religion als die Politik, die das Sparen als identitätsstiftendes Moment entdeckt. Im Obrigkeitsstaat des 19. Jahrhunderts sollten private Rücklagen auch die revolutionäre Unruhe in den Arbeiterfamilien besänftigen. „Wer spart, ist kein Socialdemocrat und Anarchist“, schrieb 1889 der Geistliche Joseph Auffenberg. „Sparen ist deine Mitarbeit am Wiederaufbau Deutschlands!“, lautete das Motto des ersten deutschen Weltspartages 1925. „Deutsche Art bewahrt, wer arbeitet und spart“, tönten später die Nazis, während sie sich klammheimlich an den Rücklagen der Sparer zur Rüstungsfinanzierung bedienten. Der Spareffekt von vier autofreien Sonntagen 1973 infolge der Ölkrise blieb überschaubar, das Gefühl von Gemeinschaft, das sie stifteten, aber war enorm.
Seit den 1950er-Jahren wird schon Kindern das Sparen durch den Weltspartag nahegebracht. Die Jugend heute rückt zugleich die Nachhaltigkeit in den Fokus. Möglichkeiten, seinen Konsum sinnvoller zu gestalten, gibt es zuhauf. Noch genießbares oder unnötigerweise verdorbenes Essen im Wert von 235 Euro pro Person landet bei uns innerhalb eines Jahres in der Tonne – Lebensmittel für 17,3 Milliarden Euro. Wer sich ein TShirt für fünf Euro kauft und glaubt, er habe dabei gespart, hat den Knall nicht gehört. Etwas weniger Fleisch, etwas weniger Alkohol, etwas weniger Tabak tun es auch. Smartphones und Tablets müssen nicht gewechselt werden, nur weil es ein neueres Modell gibt. Es wäre Sparen im besten Sinne.
„Geiz ist ein Mangel im Geben und ein Übermaß im Nehmen“Aristoteles griechischer Philosoph (384-322 v. Chr.)