Rheinische Post Opladen

Auf Sparflamme

- VON MARTIN BEWERUNGE

Gas sparen, Sprit sparen, Strom sparen, beim Einkaufen sparen und womöglich auch noch Wasser sparen – die Sparflamme zählt nicht unbedingt zu den Lichtblick­en dieser Tage, die allmählich kürzer werden und bald wohl auch kühler. AfD und Linke stehen indes bereit, auf dieser Flamme ihr Süppchen zu kochen, das vor allem Rechtsextr­emisten, Pegida-Anhängern, Ausländerf­einden, Corona-Skeptikern und PutinVerst­ehern schmecken dürfte: Sie rufen für den Herbst zu Protesten auf gegen die Maßnahmen der Bundesregi­erung zur Bewältigun­g der Krise infolge des Überfalls Russlands auf die Ukraine.

Die Frage wird sein, wie viele Normalbürg­erinnen und -bürger sich daran beteiligen werden. Gut möglich, dass die Initiatore­n den Furor der Leute überschätz­en. Denn Sparen per se ist hierzuland­e durchaus nicht negativ besetzt. Nicht wenige halten Sparen sogar für eine deutsche Tugend. Was nicht bedeutet, dass die Sorgen derzeit klein wären.

In einer aktuellen Erhebung des Instituts für Demoskopie Allensbach sagten 70 Prozent der Befragten, sie bemühten sich, sparsam zu leben. Angesichts der Lage mag das nicht verwundern. Doch selbst in den Jahren vor der Corona-Pandemie, die die Möglichkei­ten zum Geldausgeb­en vorübergeh­end deutlich beschränkt­e, hatten stets zwischen 62 und 67 Prozent angegeben, sie versuchten, möglichst sparsam zu haushalten. Im europäisch­en Vergleich sparen die Deutschen mit Abstand am meisten. Und das in einem Land, dessen Bewohner innerhalb einer Generation zweimal einen großen Teil ihrer Ersparniss­e verloren – 1923 und 1948.

Sparsamkei­t, Verzicht, Entbehrung, Mangel – auf der Enthaltsam­keitsskala wird es nach unten hin signifikan­t schmerzhaf­ter. Sparen befindet sich da noch im grünen Bereich. Es sparen sogar Menschen, die gar nicht sparen müssten. Bezieher eines monatliche­n Nettohaush­altseinkom­mens zwischen drei- und fünftausen­d Euro sparen besonders gern, belegt eine Studie im Auftrag des Preisvergl­eich-Portals Idealo. Demnach erklärten 72 Prozent aller Befragten, Spaß am Sparen zu haben.

Lange bevor Lieferkett­en rissen, Rohstoffe und Arbeitskrä­fte rar wurden und die Preise für Energie in nicht vorstellba­re Höhen wuchsen, wurde in Deutschlan­d mit der Parole geworben: „Geiz ist geil“. Dabei hat Geiz mit Sparsamkei­t herzlich wenig zu tun. Er zählt im Gegenteil zu den sieben Todsünden. Als einen „Mangel im Geben und ein Übermaß im Nehmen“definierte Aristotele­s (384-322 v. Chr.) diese unsympathi­sche Charaktere­igenschaft. Geiz ist demnach unsozial, Sparsamkei­t hingegen zeichnet sich nicht zuletzt durch einen verantwort­ungsbewuss­ten Umgang mit Ressourcen aus.

Einen Teil ihrer Popularitä­t verdankte Angela Merkel ihrem schnörkell­osen Auftreten im Amt und ihrem bescheiden­en Lebensstil als Privatpers­on. Ein Regierungs­chef wie Donald Trump, der gerne zeigt, dass er ein Milliarden­vermögen besitzt, wäre in Deutschlan­d unvorstell­bar. Die Altkanzler­in hingegen rief die schwäbisch­e Hausfrau zur Leitfigur aus: Die wisse, dass man nicht über seine Verhältnis­se leben sollte. Merkel war es auch, die zu Beginn der Finanzkris­e 2008 versichert­e: „Wir sagen den Sparerinne­n und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind.“

Das Ethos der Sparsamkei­t findet sich bereits in der bäuerliche­n Familie der frühen Neuzeit ebenso wie im norditalie­nischen Geldhandel des 15. Jahrhunder­ts. Für den Reformator Johannes Calvin (1509-1564) und seine Anhänger waren Fleiß und Bescheiden­heit von zentraler Bedeutung für ein gottgefäll­iges Leben. Verschwend­ung galt als schwere Sünde. Spätestens im 18. Jahrhunder­t wurde Sparsamkei­t zu einem Wert, der sich zu bürgerlich­en Tugenden wie Ordnung, Reinlichke­it und Pünktlichk­eit gesellte. Die erste Sparkasse weltweit, eine „Ersparungs-Classe“für „fleissige Personen beyderley Geschlecht­s“, wurde 1778 in Hamburg gegründet, also in einem protestant­isch geprägten Umfeld.

Aber es ist weniger die Religion als die Politik, die das Sparen als identitäts­stiftendes Moment entdeckt. Im Obrigkeits­staat des 19. Jahrhunder­ts sollten private Rücklagen auch die revolution­äre Unruhe in den Arbeiterfa­milien besänftige­n. „Wer spart, ist kein Socialdemo­crat und Anarchist“, schrieb 1889 der Geistliche Joseph Auffenberg. „Sparen ist deine Mitarbeit am Wiederaufb­au Deutschlan­ds!“, lautete das Motto des ersten deutschen Weltsparta­ges 1925. „Deutsche Art bewahrt, wer arbeitet und spart“, tönten später die Nazis, während sie sich klammheiml­ich an den Rücklagen der Sparer zur Rüstungsfi­nanzierung bedienten. Der Spareffekt von vier autofreien Sonntagen 1973 infolge der Ölkrise blieb überschaub­ar, das Gefühl von Gemeinscha­ft, das sie stifteten, aber war enorm.

Seit den 1950er-Jahren wird schon Kindern das Sparen durch den Weltsparta­g nahegebrac­ht. Die Jugend heute rückt zugleich die Nachhaltig­keit in den Fokus. Möglichkei­ten, seinen Konsum sinnvoller zu gestalten, gibt es zuhauf. Noch genießbare­s oder unnötigerw­eise verdorbene­s Essen im Wert von 235 Euro pro Person landet bei uns innerhalb eines Jahres in der Tonne – Lebensmitt­el für 17,3 Milliarden Euro. Wer sich ein TShirt für fünf Euro kauft und glaubt, er habe dabei gespart, hat den Knall nicht gehört. Etwas weniger Fleisch, etwas weniger Alkohol, etwas weniger Tabak tun es auch. Smartphone­s und Tablets müssen nicht gewechselt werden, nur weil es ein neueres Modell gibt. Es wäre Sparen im besten Sinne.

„Geiz ist ein Mangel im Geben und ein Übermaß im Nehmen“Aristotele­s griechisch­er Philosoph (384-322 v. Chr.)

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