Rheinische Post Opladen

Ärztinnen harren an der Front aus

In ukrainisch­en Kliniken nahe der Kriegsgebi­ete mangelt es an allem – besonders am medizinisc­hen Personal. Doch nicht alle helfenden Fachkräfte haben sich für eine Flucht entschiede­n. Unter Einsatz ihres Lebens arbeiten sie weiter.

- VON MSTYSLAV CHERNOV UND DEREK GATOPOULOS

SOLOTSCHIW (ap) Wo einmal die Tür zum Verwaltung­sgebäude des Krankenhau­ses von Solotschiw war, hängt jetzt nur noch ein Türrahmen von einer teilweise eingestürz­ten Mauer. Als Ilona Butowa durch die Öffnung nach draußen tritt, wirkt die Ärztin in ihrer glatt gebügelten Krankenhau­skleidung fast ein wenig deplatzier­t. Kein einziges Gebäude des Krankenhau­ses in der Provinz Charkiw nahe der russischen Grenze ist vom Beschuss der Angreifer verschont geblieben. Die nutzbaren Behandlung­sräume und die Kolleginne­n und Kollegen sind immer weniger geworden, doch einige wie Butowa bleiben. „Es ist sehr hart, aber die Leute brauchen uns“, sagt sie. „Wir müssen hierbleibe­n und helfen.“

Schon lange vor dem Krieg war es um das Gesundheit­ssystem in der Ukraine schlecht bestellt. Jahrelange Misswirtsc­haft, Korruption und dann noch die Corona-Pandemie hatten das Personal in den Krankenhäu­sern an ihre Grenzen gebracht. Patienten mussten oft weite Strecken zu Kliniken in größeren Städten fahren, weil staatliche Zuschüsse gestrichen wurden und Krankenhäu­ser in kleineren Städten schließen mussten. Einige Ukrainer berichtete­n, dass sie bis zu acht Stunden auf einen Krankenwag­en warten mussten, als sie schwer an Covid-19 erkrankt

waren. Mit dem Krieg ist alles noch viel schlimmer geworden, besonders in Orten wie Solotschiw, nur 18 Kilometer entfernt von der russischen Grenze. Viele Angestellt­e aus den ohnehin schon wenigen

Kliniken flüchteten in den sichereren Westen des Landes oder ins Ausland. Einige Hartnäckig­e so wie Butowa blieben, unterstütz­t von einer Handvoll Freiwillig­er, die unter Einsatz ihres Lebens an die Front gekommen sind.

Seit Beginn des Krieges ist die Zahl der Angestellt­en im Krankenhau­s von Solotschiw von 120 auf 47 gesunken. Jene, die Hilfe brauchen, wurden aber immer mehr. Neben dem Personal fehlen auch oft die nötigen Medikament­e, um alle zu behandeln. Butowa, die auch für die Verwaltung der Klinik zuständig ist, muss versuchen, den Laden trotzdem irgendwie am Laufen zu halten.

Ähnlich wie in Solotschiw ist auch die Lage in Mykolajiw im Süden der Ukraine extrem schwierig. Die Apotheken seien nicht geöffnet und es fehlten ohnehin die Medikament­e, sagt Andrij Skorochod, der dort als Freiwillig­er für das Rote Kreuz arbeitet. Und selbst wenn man Medikament­e bekomme, müsse die auch jemand verabreich­en. „Wir brauchen einfach mehr Personal.“

Dank der Hilfe von Freiwillig­en wie Skorochod ist die 79-jährige Wanda Banderowsk­a noch am Leben. Ihr Haus in der Nähe von Mykolajiw sei durch russischen Artillerie­beschuss zerstört worden, sagt sie. Ihr 53-jähriger Sohn Roman sei noch zum Auto gegangen, um sein Mobiltelef­on zu holen, und dabei am Kopf getroffen worden. Er hat es nicht überlebt. „Sie haben alles zerstört und mir ist nichts geblieben“, sagt Banderowsk­a – nur das eigene Leben. Schwer verletzt und kaum bei Bewusstsei­n kam sie nach dem Angriff ins Krankenhau­s. Langsam habe sie sich von den körperlich­en Wunden erholt und das verdanke sie den Ärztinnen und Ärzten. Was bleibe, stellt die 79-Jährige mit zitternder Stimme fest, seien Trauer und Wut.

„Es ist sehr hart, aber die Leute brauchen uns. Wir müssen hierbleibe­n und helfen“Ilona Butowa Ärztin in Solotschiw

 ?? FOTO: EVGENIY MALOLETKA/AP ?? Ärztin Ilona Butowa vor der Therapieab­teilung des Krankenhau­ses der Stadt Solotschiw, die bei einem russischen Angriff zerstört wurde.
FOTO: EVGENIY MALOLETKA/AP Ärztin Ilona Butowa vor der Therapieab­teilung des Krankenhau­ses der Stadt Solotschiw, die bei einem russischen Angriff zerstört wurde.

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