Das Neun-Euro-Ticket ist ein Kassenschlager
52 Millionen Fahrscheine wurden laut Verkehrsunternehmen verkauft. Die Länder fordern Anschlusslösungen, der Bund bremst.
BERLIN Als die Ampel-Parteien im März im Koalitionsausschuss das Neun-Euro-Ticket erdachten, ahnte wohl keiner bei SPD, Grünen und FDP, was folgen würde: zum einen ein Ansturm auf den Fahrschein und proppevolle Züge, zum anderen viele Debatten über eine Nachfolgeregelung sowie jede Menge Ärger mit den Ländern. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag wird das Angebot nach drei Monaten auslaufen. Diverse Verkehrsminister und der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) zogen daher jetzt in Berlin eine Bilanz.
Ein Blick auf die Zahlen zeigt zunächst, wie erfolgreich – gemessen am Absatz – das neue Angebot war: Laut VDV sind seit Verkaufsstart Ende Mai rund 52 Millionen NeunEuro-Tickets verkauft worden. Hinzu kommen etwa zehn Millionen Abonnenten (inklusive Schüler), die das vergünstigte Ticket über die gesamten drei Monate automatisch erhalten haben. Aber hat das Ticket auch das übergeordnete Ziel erfüllt – nämlich Menschen zum Umsteigen auf Bus und Bahn zu bewegen? Ja, sagt der VDV, zumindest teilweise: Zusammen mit der Deutschen Bahn und dem Institut Forsa führte der Verband in den drei Monaten eine Befragung von bisher 78.000 Personen durch.
Das Ergebnis: Bei zehn Prozent der Fahrten mit dem Neun-EuroTicket wird demnach eine Fahrt ersetzt, die sonst mit dem Pkw unternommen worden wäre. Insgesamt liegt der Anteil der aus anderen Verkehrsmitteln verlagerten Fahrten bei 17 Prozent. Jeder fünfte Käufer ist zudem Neukunde, der den ÖPNV zuvor normalerweise nie genutzt hat.
Interessant ist auch zu sehen, wofür das Ticket konkret genutzt wurde. So benutzen 52 Prozent der Befragten das Ticket für Erledigungen. 40 Prozent für Besuchsfahrten und 37 Prozent für den Weg zur Arbeit. Ausflugsfahrten und Städtereisen folgen mit 33 beziehungsweise 32 Prozent. Rund eine Milliarde Fahrten, schätzen die Marktforscher, sind pro Monat mit einem Neun-Euro-Ticket absolviert worden.
Wichtigster Kaufgrund ist den Daten zufolge der günstige Preis (69 Prozent). Der Verzicht auf Autofahrten wird als zweitwichtigster Grund genannt, auch die Flexibilität bei der Nutzung überzeugt viele.
Die Hauptgründe gegen den Kauf sind demnach fehlende Anlässe (37 Prozent), die Vorliebe fürs Auto (35 Prozent) und umständliche Verbindungen (33 Prozent). Im ländlichen Raum dominieren als Nichtkaufgründe die Probleme beim Angebot.
Das Fazit der Politik fällt positiv aus: Maike Schaefer (Grüne), Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, betonte, das Neun-Euro-Ticket sei aber nur dann ein Erfolg, „wenn es auch eine Nachfolgeregelung gibt“, so die Bremer Senatorin. Eine Anschlusslösung könne nur „durch weitere Mittel on top durch den Bund finanziert werden“, so Brandenburgs Infrastrukturminister Guido Beermann (CDU). Die saarländische Ministerin Petra Berg (SPD) verwies darauf, dass in den drei Monaten 1,8 Millionen Tonnen CO2 eingespart worden seien, „so viel wie ein Jahr Tempolimit einsparen würde“.
Der VDV hat nun ein 69-Euro-Ticket vorgeschlagen, die Grünen wollen 29 Euro für ein regionales und 49 Euro für ein bundesweit gültiges Ticket aufrufen. Die SPD im
Bundestag schlägt nun ebenfalls einen bundesweit gültigen ÖPNVFahrschein zum Monatspreis von 49 Euro vor, den Bund und Länder finanzieren sollen. Das ist freilich das Problem – die Länder sind gebeutelt von steigenden Energiepreisen und jahrelanger Unterfinanzierung des Nahverkehrs. Sie brauchen mehr Geld für mehr Qualität. Daher erwarten sie, dass der Bund die Kosten übernimmt und auch die Regionalisierungsmittel für den ÖPNV in Milliardenhöhe aufstockt. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) tritt freilich auf die Bremse.
Alternativvorschläge der Länder gibt es im Grunde nicht. Vieles liege ja auf dem Tisch, was auch von den Verkehrsministern diskutiert werde, so Schaefer. Man sei zu Beratungen mit dem Bund bereit. Auch dazu, eventuell einen Beitrag zu leisten. Wenn Wissing aber erst die Evaluation des Tickets abwarten wolle, „dann ist das kein Beitrag, jetzt schnell über die Nachfolge zu reden“.