Mallorca ist genervt vom Tourismus
Nach zwei mageren Jahren freuen sich Hoteliers und Gastronomen auf der Insel über die Rückkehr ausländischer Gäste. Doch mit dem Ansturm der Besucher kehren auch die Probleme zurück. Der Unmut in der Bevölkerung wächst.
MADRID/PALMA Lange Staus auf den Zufahrtsstraßen zu Stränden und Ausflugszielen, Parkplatzchaos, Taximangel und jetzt auch noch Trinkwasserprobleme: Mallorca, die meistbesuchte Urlaubsinsel Europas, kommt diesen Sommer an ihre Grenzen. Und zwar so sehr, dass die Rufe nach einer Begrenzung des Massentourismus immer lauter werden. „Wir können nicht weiter wachsen“, verkündet die Inselregierung und plant Schritte, um den drohenden Kollaps abzuwenden.
Urlauber, die auf Mallorca mit dem Auto unterwegs sind, fühlen sich in diesen Tagen oftmals wie im Berufsverkehr in der Heimat. Statt in romantischer Einsamkeit auf den schönen Küstenstraßen der Insel finden sie sich im Stau wieder. Lange Blechkarawanen von Mietwagen schlängeln sich zum berühmten Naturstrand Es Trenc, zu den malerischen Orten Deià und Valldemossa oder zu populären Aussichtspunkten wie dem Kap Formentor im Norden der Insel.
Der Kolonnenfahrt folgt dann die aufreibende Parkplatzsuche. Mangels ausreichender Stellflächen werden Zufahrtsstraßen, Einfahrten und Rettungswege zugeparkt. Die Situation sei fürchterlich, klagt Lluís Apesteguia, Bürgermeister des 700-Einwohner-Nestes Deià, das in der Hauptsaison von Besucherlawinen überrollt wird. In Deià wohnen viele Künstler, Hollywoodstar Michael Douglas besitzt in der Nähe eine luxuriöse Finca.
Im Gemeindegebiet Deiàs liegt auch der Aussichtspunkt Sa Forada, der jeden Abend von unzähligen Touristen angesteuert wird, um dort den Sonnenuntergang zu genießen. Die Zufahrt über eine kurvenreiche und enge Panoramastraße ist traumhaft schön, kann aber bei viel Verkehr mit Gedrängel und ständigen Ausweichmanövern zum Albtraum werden. „Wenn wir nicht bald eine Lösung finden, wird es irgendwann ein Unglück geben“, sagt Bürgermeister Apesteguia.
Deià ist einer jener Orte Mallorcas, dem seine Beliebtheit zunehmend zum Verhängnis wird. Inzwischen
musste, nach Monaten des Regenmangels, auch das Trinkwasser rationiert werden. Die Grundwasserbrunnen sind trocken gefallen, der Ort muss mit Tankwagen versorgt werden. Das Füllen von Pools wurde verboten, Pflanzen in Privatgärten dürfen nicht mehr gegossen werden. Bald könnte das Wasser stundenweise ganz abgestellt werden. Auch in anderen Inselorten wie in Campos, Artá, Sóller und Manacor wird das Wasser bedrohlich knapp.
Angesichts der Probleme auf der Insel fordert der regionale Umweltminister Miquel Mir, den Tourismus und die Bautätigkeit zu zügeln. „Wir brauchen Mäßigung, eine Verringerung der Urlauberzahl und eine Reduzierung des urbanistischen, also städtebaulichen Wachstums.“
Diese Debatte ist nicht neu. Die Inselregierung beschloss bereits in der Vergangenheit ein Moratorium, das die Bettenzahl auf 430.000 begrenzt. Zudem dürfen mittlerweile nur noch drei Kreuzfahrtschiffe pro Tag auf der Insel anlegen. Doch weil die Touristenzahl in den zwei Pandemiejahren 2020 und 2021 stark zurückging, verschwanden vorübergehend auch die Klagen über die Auswüchse des Massentourismus.
In diesem Sommer kehrten die Urlaubermassen zurück – und damit kommen auch die Probleme wieder zum Vorschein: Die Hotels waren im Juli und August nahezu ausgebucht. Weder der Ukraine-Krieg, noch die galoppierende Inflation oder das europäische Flugchaos konnten den Ansturm bremsen. „Nach den Covid-19-Einschränkungen gab es viel Lust auf Urlaub”, fasst es María Frontera, Chefin des mallorquinischen Hotelverbandes, zusammen.
Die Hoteliers freuen sich nach zwei mageren Jahren über klingelnde Kassen, doch in der Bevölkerung wächst der Unmut. Die lokale Umweltorganisation Terraferida rief die Kampagne „SOS Residenten“ins Leben, um darauf aufmerksam zu machen, dass sich viele Einheimische vom Massentourismus erdrückt fühlen. „Die Überfüllung überschreitet alle Grenzen“, heißt es von der Organisation. Es sei höchste Zeit gegenzusteuern, „sonst sind wir am Ende“.
Es muss sich etwas ändern, findet auch der mallorquinische Fotograf Miquel Àngel Dora, der schon seit langer Zeit die Entwicklung der Insel in Bildern dokumentiert: „Wenn wir Residenten uns nicht bewegen“, erklärte er im Inselfernsehen IB3, „sind wir dazu verurteilt, in der Hölle zu leben.“