Kompetenz vor Geschlecht
Boris Pistorius wird neuer Verteidigungsminister. Den niedersächsischen Innenminister hatte in Berlin kaum jemand auf dem Zettel. Eher war er als Nachfolger für das Innenministerium im Gespräch, falls Nancy Faeser wegen einer Kandidatur in Hessen ebenfalls aus dem Kabinett ausscheiden sollte. Kanzler Olaf Scholz ist somit ein Coup gelungen. Politisch und menschlich ist Pistorius eine gute Wahl. Fachlich muss er sich einarbeiten; ein Militärexperte ist er dezidiert nicht. Das muss ihm schnell gelingen, auch muss er sich schnell auf einen Beraterstab einlassen, der ihm auch die Untiefen seines neuen Ministeriums nahebringt.
Scholz verlässt mit dieser Entscheidung die Parität unter seinen Ministern. Das ist richtig. In solch einer Notlage muss Kompetenz über Geschlecht siegen. Scholz hätte die Parität allerdings im Wahlkampf nicht so offensiv verkaufen dürfen – er wird daraus gelernt haben. Auch wird er dem Landesproporz nicht gerecht: Statt zwei Frauen aus Hessen sitzen nun zwei Männer aus Niedersachsen in der SPD-Ministerriege. Doch das alles war Scholz auf der fieberhaften Suche nach einem Nachfolger für Christine Lambrecht egal.
Der 62 Jahre alte Pistorius, der sich als pragmatischer Innenpolitiker einen Namen gemacht hat, muss das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr umgehend umsetzen, das Beschaffungswesen reformieren und sich um das marode Gerät kümmern. Die Truppe will Entscheidungen zum Mandat in Mali, das Thema Ausrüstung steht ebenfalls oben auf der Liste. Auf dem Posten kann man politisch nichts gewinnen, aber viel verlieren. Pistorius kennt die Abgründe der Politik ebenso gut wie den Glanz von Scheinwerfern. Er muss nun eine Bewährungsprobe bestehen; das Ressort muss besser geführt werden. Das hat das Land, die Truppe verdient. Es kann im Bereich Verteidigung nur besser werden.