Rheinische Post Opladen

Das Geheimnis der Seltenen Erden

In Schweden wurde das größte Vorkommen Europas der wichtigen Rohstoffe entdeckt. Die Metalle sind zentral für Handys und Klimawende. Noch beherrscht China mit brutalen Methoden den Markt. Das könnte sich ändern.

- VON ANTJE HÖNING

Sie stecken in allem, was das moderne Leben ausmacht: in Smartphone­s, LED-Leuchten, Katalysato­ren, Festplatte­n. Sie werden für Kontrastmi­ttel und Laser in der Medizin benötigt, für Magnete in Windrädern und Batterien von Elektroaut­os. Seltene Erden sind ein zentraler Rohstoff für die Industrie – und kommen meist aus China. Umso größer war die Begeisteru­ng, als der schwedisch­e Bergbaukon­zern LKAB unlängst einen großen Fund in Kiruna meldete. „Das ist eine gute Nachricht nicht nur für die Region, sondern auch für Europa und das Klima“, erklärte LKABChef Jan Moström. Was ist dran?

Schon der Name verheißt Großes: Seltene Erden. Dabei beruht er auf einem Missverstä­ndnis. Es geht um Metalle, die als Oxidverbin­dung in seltenen Mineralien vorkommen. Solche Oxide (Sauerstoff­verbindung­en) wurden früher auch „Erden“genannt. 17 Elemente zählen zu den Seltenen Erden, und oft treten sie zusammen auf. Sie haben klangvolle Namen wie Lanthan, Scandium oder Neodym. Ein Drittel der weltweiten Vorkommen vermuten Forscher in China. Und die Chinesen sind auch bereit, diese aus dem Boden zu holen.

Denn so selten sind die Seltenen Erden gar nicht; das Hauptprobl­em ist es, sie abzubauen – vor allem umweltfreu­ndlich und in reiner Form abzubauen. Denn zum Abbau werden Säuren eingesetzt, die die Metalle gleichsam aus den Bohrlöcher­n waschen, was zu giftigen Abfallprod­ukten führt. Umweltund Arbeitssch­utz aber werden in China oft missachtet. „Aus China sind gravierend­e Umwelt- und Gesundheit­srisiken im industriel­len Großbergba­u auf Seltene Erden bekannt“, heißt es in einer Antwort des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums auf eine FDP-Anfrage. In der

Mongolei sei es zur Verschmutz­ung von Seen, Boden und Luft gekommen, es gebe eine Zunahme an Atemwegs-, Haut- und Krebserkra­nkungen.

China nutzt seine wirtschaft­liche Macht auch politisch. „Die Rohstoffe sind für wichtige zukunftsre­levante Technologi­en und damit für die industriel­le Entwicklun­g bedeutsam. Das Problem ist dabei weniger ein geologisch­er Engpass der natürliche­n Ressourcen, sondern eines der politische­n Verfügbark­eit und damit der potenziell­en Erpressbar­keit durch China“, betont Hubertus Bardt, Geschäftsf­ührer des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), gegenüber unserer Redaktion. Er bewertet die Kiruna-Entdeckung so: „Der Fund ist bedeutsam, aber im internatio­nalen Vergleich auch nicht überragend.“Verglichen mit den globalen Vorräten von geschätzt 120 Millionen Tonnen liege der Fund in Schweden bei unter einem Prozent. „Entscheide­nd ist zudem, wer die Aufbereitu­ng des Erzes erzeugt, wo der Marktantei­l Chinas tendenziel­l noch höher ist.“Die Volksrepub­lik hat ihre Vormachtst­ellung nämlich nicht nur dem geologisch­en Zufall und Lücken im Umweltschu­tz zu verdanken, sondern auch ihrer gezielten Industriep­olitik, die zum Aufbau seiner Veredlungs­industrie geführt hat. Aus den Erzen die Metalle holen – darauf kommt es an.

Lukas Menkhoff vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung bewertet den Fund ähnlich: „Nach jetzigem Kenntnisst­and – die Exploratio­nen sind ja bisher nicht abgeschlos­sen – leisten die neuen Funde einen wichtigen Beitrag, um die Unabhängig­keit von China zu vergrößern, aber können nicht alle Importe aus China ersetzen.“Zudem braucht das Ganze noch Zeit: „Es wird davon ausgegange­n, dass ein Abbau frühestens in einer Dekade beginnen kann, ein kurzfristi­ger Lösungsbei­trag

ist das Vorkommen also nicht“, meint IW-Forscher Bardt. „Es sind viele Vorbereitu­ngen notwendig: weitere Erkundunge­n, die Wirtschaft­lichkeit muss geprüft, und die Umweltausw­irkungen müssen bedacht werden. Hinzu kommen umfangreic­he Genehmigun­gsprozesse – da kann ein Jahrzehnt schnell vorbei sein“, sagt Jana Rückschlos­s vom Fraunhofer-Institut IZM. Schneller ginge wohl die Nutzung des vorhandene­n Abraums aus der Kiruna-Mine, dort fördert man seit Jahrzehnte­n Eisenerz. „Ich kann mir gut vorstellen, dass das Unternehme­n in diese Richtung tätig wird“, meint die Expertin.

Die EU-Kommission hat die Seltenen Erden zu Recht als strategisc­h relevant eingestuft. „Sie sind zwar kleine, aber elementare Bestandtei­le, um die Energiewen­de zu gestalten“, betont Menkhoff mit Blick auf Elektroaut­os und Windräder. Strategisc­h relevant sind sie auch, weil China seine wirtschaft­liche Macht auch als politische­s Druckmitte­l einsetzt. 2010 stoppte Peking die Transporte nach Japan, weil man sich über territoria­le Fragen stritt. 2019 drohte Peking im Zuge des Handelsstr­eits mit den USA mit einem Ausfuhrsto­pp, der letztlich abgewendet wurde.

Russland setzt Energie als Waffe ein, China die Seltenen Erden. Gegen beide Mächte wehrt sich Europa endlich. „In den vergangene­n zehn Jahren ist der Anteil Chinas an der Weltproduk­tion der Seltenen Erden von 90 auf 60 Prozent gesunken. Wir sind also auf einem guten Weg“, meint Jana Rückschlos­s.

Seltene Erden wurden im 18. Jahrhunder­t in Schweden entdeckt. Nun ist es wieder Schweden, das Europa helfen kann. Das Fazit von IW-Forscher Bardt: „Mit Blick auf China kann das schwedisch­e Vorkommen zusammen mit anderen Bergbaupro­jekten einen interessan­ten Beitrag leisten, aber auf die kurze Frist keine Unabhängig­keit herstellen.“Europa muss also weiter sehen, dass es seine Beschaffun­g auf viele Beine stellt und beim Recycling der Metalle etwa aus alten Handys vorankommt.

„Die Funde leisten einen wichtigen Beitrag, um die Unabhängig­keit von China zu vergrößern“Lukas Menkhoff DIW-Forscher

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