Aus der Reserve an die Spitze
Es hat eine Weile gedauert, bis Kanzler Scholz fündig geworden ist. Sein neuer Verteidigungsminister Boris Pistorius kommt nicht aus Berlin, sondern aus Hannover. Kann er den hohen Erwartungen gerecht werden?
Am Morgen scheint Olaf Scholz noch sehr entspannt. Der Kanzler tritt gemeinsam mit der Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), in Mainz vor die Presse. Er hat mit den Spitzen der chemischen Industrie gesprochen, will die Presse darüber informieren. Er gratuliert Dreyer zum zehnjährigen Jubiläum als Ministerpräsidentin – obwohl jeder darauf wartet, dass er den Namen des neuen Verteidigungsministers nennt. Scholz schweigt.
Wenig später macht in Berlin eine Eilmeldung die Runde: Boris Pistorius, niedersächsischer SPDInnenminister, soll neuer Verteidigungsminister werden. Den hatte so niemand wirklich auf der Liste, gilt er doch nicht als militäraffin. Eine politische Führungsfigur ist der Niedersachse aber allemal, in den Kreisen der Sicherheitsbehörden ist er geachtet, in der SPD auch. Wenig später wird die Personalie bestätigt.
Mittags landet der Bundeskanzler mit dem Hubschrauber in Brandenburg an der Havel, wo er mit Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten besucht. Er nutzt das Pressestatement für „eine weitere Bemerkung“. Pistorius sei „nicht nur ein Freund und guter Politiker“, sondern bringe auch sehr viel Erfahrung in der Sicherheitspolitik mit. Vor allem: Pistorius besitze „die Kraft und Ruhe, die man für eine so große Aufgabe angesichts der jetzigen Zeitenwende braucht“. Am Ende dankt Scholz auch Christine Lambrecht noch einmal für deren Arbeit. Er wolle noch mal klar sagen: Großer Respekt für die Entscheidung, die sie (Christine Lambrecht) getroffen habe.
Auch Baerbock sagt, sie freue sich auf die Zusammenarbeit mit Pistorius und setze darauf, dass das, was Auswärtiges Amt und Verteidigungsministerium bislang gemeinsam erarbeitet hätten, fortgesetzt würde. Im Frühjahr soll die erstmals aufgelegte Nationale Sicherheitsstrategie vorliegen. Baerbock hat dafür die Federführung, Pistorius liefert zu.
Der Reservistenverband der Bundeswehr begrüßt in der Zwischenzeit die Entscheidung. „Er ist durchsetzungsfähig und hat sich bisher schon intensiv mit den Sicherheitsfragen unseres Landes beschäftigt“, sagte der Verbandspräsident Patrick Sensburg unserer Redaktion. Der Verband freue sich, dass nun ein Reservist an der Spitze des Ministeriums stünde, der schon lange gute und intensive Kontakte zur Reserve in Niedersachsen habe.
Pistorius selbst tritt am Mittag in Hannover vor die Presse und sieht sich gut vorbereitet für sein neues Amt: „Als Innenminister bin ich qua Amt verantwortlich und zuständig für die Beziehung zur Bundeswehr. Nicht nur im Katastrophenschutz, auch darüber hinaus. Ich habe mich starkgemacht für ein Heimatschutzregiment hier in Niedersachsen, war regelmäßig auf den Bundeswehrstandorten, auch auf den Marinestandorten.“Er wisse, was in der Bundeswehr Thema sei, betont der SPD-Politiker. „Die Aufgaben, die vor der Truppe liegen, sind gewaltig“, sagt Pistorius: „Die Bundeswehr muss sich auf eine neue Situation einstellen, die mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine entstanden ist.“Ihm sei wichtig, die Soldatinnen und Soldaten ganz eng an diesem Prozess zu beteiligen. Zu konkreten Vorhaben wollte er sich vor seinem offiziellen Amtsantritt noch nicht äußern.
Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl (SPD), war als heiße Favoritin auf den Posten gehandelt
worden, zeigt sich gegenüber unserer Redaktion aber erfreut über die Personalie: „Über die Entscheidung für Boris Pistorius freue ich mich riesig. Für das neue Amt wünsche ich ihm alles erdenklich Gute.“Mit ihm bekomme die Truppe in schwierigen Zeiten einen engagierten, führungsstarken und leidenschaftlichen Politiker, dem die Bundeswehr sehr am Herzen liege und auf den sie sich verlassen könne.
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses
im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), betont, man werde mit Pistorius konstruktiv zusammenarbeiten. „Er wird in Berlin daran aber gemessen werden, ob er die Belange der Truppe versteht und dem Bundeskanzleramt und Verteidigungsministerium gegenüber durchsetzungsstark vertritt“, so die FDP-Politikerin.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nennt die Entscheidung
überraschend, zur Eignung will er sich nicht äußern. Doch die Union gibt dem neuen Minister gleich einen ganzen Rucksack an Aufträgen mit. Er müsse unter anderem das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr umgehend umsetzen. Der neue Verteidigungsminister wird keine 100 Tage zum Einarbeiten haben. „Eher 100 Stunden“, so formuliert es der Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Und trifft damit den Punkt.