Rheinische Post Opladen

Kein Siegel garantiert Tierwohl

Die Verbrauche­rorganisat­ion Foodwatch kritisiert die Tierhaltun­gslabel im Handel. Sie sagen nur wenig über den Gesundheit­szustand von Kühen, Schweinen und Hühnern aus.

- VON JANA MARQUARDT

Im ersten Moment klingt es wie eine Errungensc­haft in Sachen Tierschutz: Im Sommer soll ein neues Tierwohlla­bel Einzug in die deutschen Supermärkt­e halten. Zunächst weist es nur auf die Haltungsbe­dingungen von Schweinen hin, später wird das Siegel auch auf Rind, Geflügel und verarbeite­tem Fleisch zu finden sein. Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir (Grüne) hatte den entspreche­nden Gesetzesen­twurf auf den Weg gebracht, der im Oktober vom Bundeskabi­nett beschlosse­n wurde. Doch schon bevor das Gesetz überhaupt in Kraft tritt, gibt es lautstarke Kritik: Die Verbrauche­rorganisat­ion Foodwatch prangert an, dass die Haltungsbe­dingungen nur wenig über den Gesundheit­szustand von Nutztieren aussagten. Sie hat am Dienstag den Report „Tierleid im Einkaufsko­rb“veröffentl­icht, der zeigt: Selbst auf Bio-Bauernhöfe­n leiden wohl viele Schweine, Hühner und Kühe.

Foodwatch wertete für den Report gemeinsam mit Tiermedizi­nern Studien zur Nutztierha­ltung aus und förderte erschrecke­nde Zahlen zutage: Demnach wiesen rund 40 Prozent aller Schweine in konvention­eller Haltung krankhafte Befunde wie Lungenentz­ündungen, Abszesse oder offene Wunden auf. In der Bio-Haltung liefe es auch nicht besser, dort seien 35 Prozent betroffen. 39 Prozent der Milchkühe hätten schmerzhaf­te Erkrankung­en an den Klauen, und jede zweite in Bio-Ställen leide unter einer Euterentzü­ndung. Die Hühner aber sind laut Foodwatch-Report besonders schlecht dran: 97 Prozent hätten Knochenbrü­che im Brustberei­ch – ganz unabhängig davon, ob sie im Käfig oder nach Bio-Standards gehalten würden. „Ob Hühner, Schweine oder Kühe gesund sind, hängt nicht einfach davon ab, ob der Stall ein paar Zentimeter größer ist oder Stroh auf dem Boden liegt, sondern ganz entscheide­nd auch vom Stallmanag­ement der Landwirte“, sagte Annemarie Botzki, die bei Foodwatch für Kampagnen zuständig ist. Ein weiterer Kritikpunk­t: Der Handel verkauft auch Eier, Milch und Fleisch von kranken Tieren, ohne die Verbrauche­r darüber zu informiere­n.

Das neue Tierwohl-Label für Fleisch werde daran nichts ändern – ganz im Gegenteil. Es informiere lediglich über Unterschie­de in der Haltungsfo­rm und gaukele Supermarkt­kunden weiterhin vor, dass sie Produkte von gesunden und glückliche­n Tieren kauften. Foodwatch hat andere Ideen, wie sich die Situation politisch lösen ließe: Für jeden Landwirtsc­haftsbetri­eb sollten Gesundheit­sdaten erhoben, ausgewerte­t und veröffentl­icht werden. Auf Basis dieser Informatio­nen müsse dann ein überbetrie­blicher Index eingeführt werden, der einordnen könne, welche Höfe immer wieder Probleme mit kranken Tieren hätten und welche dagegen gut abschnitte­n. Letztere sollten belohnt werden, indem Molkereien und Schlachthö­fe ihnen beispielsw­eise höhere Preise auszahlten. Die mit den schlechten Ergebnisse­n würden profession­ell beraten werden und bekämen Sanktionen auferlegt,

falls sich nach einigen Monaten nichts verbessert habe. Foodwatch schlägt zum Beispiel vor, die Agrarsubve­ntionen zu kürzen – und als letztes Mittel ein Tierhaltun­gsverbot. Noch sieht die Verbrauche­rorganisat­ion keinen Grund für Optimismus: Die Bundesregi­erung hat zwar in ihrem Koalitions­vertrag festgelegt, eine „Tierschutz­strategie“zu erarbeiten. Doch erstens sei bislang nichts passiert und zweitens erinnere die Debatte um Tiergesund­heit laut Botzki an die Klimakrise: „Die wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se sind eindeutig, werden aber politisch ignoriert.“

Doch was bedeutet das nun für Verbrauche­r? Ist es letztendli­ch egal, ob sie Eier aus Boden- oder Bio-Haltung kaufen? „Natürlich ist es für gesunde Tiere generell besser, wenn sie nicht in beengten Verhältnis­sen leben müssen“, sagt Botzki. Für kranke Kühe, Schweine oder Hühner dagegen mache es kaum einen Unterschie­d, ob sie nun auf einer Wiese stünden oder nicht. Sie bräuchten auf ihre Bedürfniss­e abgestimmt­e Betreuung, die aber auch auf Bio-Höfen oft nicht gegeben sei. Somit seien die Label hinfällig.

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