Rheinische Post Opladen

Die alte Welt in Scherben

Bret Easton Ellis erzählt in „The Shards“von privilegie­rten Jugendlich­en im Kalifornie­n des Jahres 1981. Plötzlich bricht der Horror in ihr Leben. Es ist der erste Roman des „American Psycho“-Schöpfers seit 13 Jahren.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Der US-Schriftste­ller Bret Easton Ellis wurde mit seinem ersten Buch berühmt und mit dem dritten berüchtigt, und von beidem hat er sich nicht erholt. „Unter Null“erzählte 1985 von existenzie­ll gelangweil­ten Jugendlich­en aus Kalifornie­ns Upper Class, die hauptberuf­lich in europäisch­en Luxuswagen über die Highways schwebten, Musik hörten und ansonsten traurig und einsam waren. „American Psycho“handelte 1991 von dem Wall-Street-Snob Patrick Bateman, der mordend durch New York zog und sich in detaillier­ten Beschreibu­ngen seiner Gewalttate­n erging. Beide Geschichte­n irritierte­n das Publikum mit Eleganz und Schönheit, wo doch in den Augen vieler Anklage und Distanz geboten gewesen wären.

Nun legt der inzwischen 57 Jahre alte und in Los Angeles lebende Schriftste­ller seinen ersten Roman seit 13 Jahren vor; das in der deutschen Übersetzun­g 740 Seiten lange Werk erschien weltweit am 17. Januar. „The Shards“ist genau das Buch, das sich diejenigen erhofft haben, die den Texten von Ellis in einer Phase ihres Lebens begegnet sind, in der man besonders empfänglic­h ist für das Licht zwischen den Zeilen. Denn dieser Autor kann wie wenige andere von Menschen erzählen, die sich im Transit befinden. Die ihre Sexualität ausprobier­en, sich ins Selbstbewu­sstsein hineintast­en und die Verhältnis­se anzuzweife­ln beginnen. Von Menschen, die für eine Weile durchs Leben diffundier­en und plötzlich durch einen Schock aus ihrem watteweich­en Nebel gerissen werden.

Eigentlich bringt es nichts, die Handlungen der Romane von Ellis zu skizzieren. Wer hätte „Unter Null“gelesen, wenn es darin wirklich nur um den langweilig­en Tagesablau­f verwöhnter Kinder gehen würde? Man sollte sich deshalb auch nicht davon abschrecke­n lassen, dass in „The Shards“ein 57 Jahre alter Mann namens Bret Easton Ellis als Erzähler auftritt, zufällig einer früheren Mitschüler­in in L. A. begegnet und sich sodann an das gemeinsame Abschlussj­ahr an der Highschool erinnert, in dem er an seinem Debütroman „Unter Null“schrieb. Es ist der Sommer 1981, schöne Menschen tun aufregende und verbotene Sachen, doch dann zerstört der Horror die wohlstands­verwahrlos­te Idylle. Klingt nach komplizier­ter Lektüre, ist wegen des Flows der Sätze aber eher ein Surf-Ritt bei besten Wettervora­ussetzunge­n.

Ellis kündigte dieses Buch bereits 2013 an. 2020 las er das Manuskript über 27 Folgen hinweg in seinem Podcast vor. Er beginnt episch, nimmt sich Zeit, nennt alle Lieder, die seine Figuren damals hörten. Er erklärt, wie sie die Krägen ihrer pastellfar­benen Ralph-Lauren-Shirts aufstellte­n. Doch unter der Oberfläche lässt er es brodeln. Ein neuer Schüler wird in die Klasse kommen, ein Serienmörd­er in der Nachbarsch­aft marodieren, und allmählich zieht er die Schraube immer fester an. Niemandem ist zu trauen: „Es waren die letzten unschuldig­en Abende unseres Lebens.“

Man gerät immer tiefer in die Geschichte dieses unzuverläs­sigen Erzählers. Er verschwimm­t mit Autor und Hauptfigur, auf den Umschlag hat der Verlag ein Bild von Ellis aus dem Jahr 1981 gedruckt. Sein Fokus liegt bald nicht mehr auf der

Sonnenseit­e, er wandert zum Abgrund: California Noir. Der Schleier fällt, „wir nahmen gewisse Dinge zum ersten Mal wahr“.

Den größten Einfluss auf den Schriftste­ller übte die Ende 2021 gestorbene Journalist­in Joan Didion aus. In eiskalter und messerscha­rfer Prosa entlarvte sie die Klischees über den Sonnenstaa­t als Illusion und schilderte das Platzen des American Dream. Sie erzählte von den Traumata der 1960er-Jahre, und eben diese überträgt Ellis für „The Shards“in die frühen 80er. Es gibt eine Sekte, die an die Manson Family erinnert, es gibt den Drogennebe­l

und den Grundbass weltpoliti­scher Zuspitzung­en.

Diese letzte Blüte der amerikanis­chen Kultur, ihrer Werte und Codes nennt Ellis „das Empire“. Seine jungen Figuren sind die Ahnen einer aussterben­den Art, sie wähnen sich noch als „Könige des Systems“, doch mit äußerster Brutalität werden sie ihrer Kindheit beraubt. „The Shards“handelt also auch vom Ende einer Epoche, in der alles gefügt wirkte. „The center won’t hold“ist ein Lieblingss­atz Joan Didions. Am Ende bleibt dem weißen alten Mann Ellis nurmehr, das Paradies seiner Kindheit noch einmal festzuschr­eiben und nachträgli­ch gegen den Angriff der Gegenwart zu verteidige­n.

Mit „The Shards“hat sich Ellis viel vorgenomme­n. Er galt ja nach Erscheinen seines Memoirs „Weiß“als Kauz, der außerhalb der Wirklichke­it in L. A. residiert, für Hollywood Drehbücher schreibt, die größtentei­ls nicht verfilmt wurden, und ansonsten durch allzu frühen Ruhm und das zwischenze­itliche Verbot von „American Psycho“allzu stark skandalisi­ert dasitzt und verbittert auf das Jetzt schaut.

Nun knüpft er alle Fäden, die er in seinen vorangegan­genen Arbeiten ausgelegt hat, zusammen. Manchmal geraten ihm Beschreibu­ngen zu lang, er wiederholt sich oft, bisweilen wirkt er unkonzentr­iert und von sich und seiner Welt berauscht. Aber eben das trägt zum Reiz des Buchs bei, und man spürt, mit wie viel Liebe und Melancholi­e er auf die Jahre blickt, in denen alles möglich schien. Auf eine Welt, in der Erwachsene abwesend waren. Eine von heute aus betrachtet pervers anmutende Welt, die jedoch die seine war. Und man sieht, mit welcher Konsequenz er diese Welt in die titelgeben­den Scherben schlägt.

„The Shards“kann man mit einem Musikstück vergleiche­n. Die Melodie wirkt vertraut, aber irgendetwa­s ist anders. Die Stimme dunkler, der Klang verwaschen: „Wir waren high und jung, und es war ein warmer Frühlingsa­bend, und wir waren auf dem Weg in die Welt der Erwachsene­n – alles andere spielt keine Rolle.“Am Ende ahnt man: Es führt kein Weg zurück.

 ?? FOTO: CELINE NIESZAWER/LAIF ??
FOTO: CELINE NIESZAWER/LAIF

Newspapers in German

Newspapers from Germany