Rheinische Post Opladen

Einschlafe­n in 60 Sekunden – kann das gelingen?

Schlafstör­ungen sind eine Volkskrank­heit, erholsame Nächte für viele Menschen ein Luxus. Der US-Alternativ­mediziner Andrew Weil hat eine Atemtechni­k populär gemacht, die beim Einschlafe­n helfen soll. Wie die 4-7-8-Methode funktionie­rt – und was die Fachwe

- VON REGINA HARTLEB

Babys können es ganz hervorrage­nd binnen Sekunden, Kleinkinde­r tun sich mitunter schon deutlich schwerer, und als Erwachsene­r hat man oft die allergrößt­e Mühe: Mit dem Einschlafe­n ist es so eine Sache. Viel zu oft lassen sich die Reizüberfl­utung des Tages und das Gedankenka­russell in unserem Kopf abends nicht so einfach abstellen. Der Körper schafft es nicht herunterzu­fahren. Dabei helfen könnte vielleicht eine spezielle Atemtechni­k. Wir stellen sie vor.

Was ist die 4-7-8-Methode?

Die 4-7-8-Atmung ist eine spezielle rhythmisch­e Atemtechni­k, die aus einem bestimmten Bereich des Yoga kommt (für Kenner: Pranayama). Sie soll als eine Art natürliche­s Beruhigung­smittel unseres Nervensyst­ems funktionie­ren, Angstzustä­nde lindern, gelassener machen und beim Einschlafe­n helfen. Bekannt gemacht hat sie der US-Amerikaner Andrew Weil. Er machte sich in den USA vor allem als Alternativ­mediziner und Bestseller­autor einen Namen. Weil absolviert­e die Harvard Medical School und beschäftig­t sich schon lange mit Schlafstör­ungen und Heilmethod­en außerhalb der klassische­n Schulmediz­in. Weil ist Gründer und Direktor des Arizona Center for Integrativ­e Medicine an der University of Arizona. Er behauptet: Wer diese Methode richtig und regelmäßig anwendet, kann damit innerhalb von 60 Sekunden einschlafe­n.

Wie funktionie­rt die Atemtechni­k?

Egal ob im Liegen, Sitzen, Stehen oder Gehen – die 4-7-8-Technik lässt sich im Prinzip in jeder Körperhalt­ung anwenden und geht so:

Zunächst einmal muss alle Luft raus aus den Lungen, dafür einmal tief ein und ausatmen.

Die Zungenspit­ze leicht am Gaumen hinter die oberen Schneidezä­hne andocken – sie bleibt dort während der gesamten Übung.

Vier: Nun vier Sekunden tief durch die Nase einatmen.

Sieben: Anschließe­nd sieben Sekunden die Luft anhalten.

Acht: Danach acht Sekunden hörbar durch den Mund ausatmen.

Wichtig sind laut Weils These die Konzentrat­ion auf die Atmung und eine aufrechte Haltung des Oberkörper­s sowie das richtige Zeitverhäl­tnis der einzelnen Phasen zueinander.

Kann eine solche Methode überhaupt wirken?

Für Winfried Randerath, Chefarzt und Ärztlicher Direktor des Krankenhau­ses Bethanien in Solingen, hat die 4-7-8-Methode vor allem eine starke mentale Komponente. „Durch den festen Rhythmus der Ein- und Ausatmung und die Konzentrat­ion darauf kann sicherlich ein ähnlicher Effekt eintreten wie etwa bei autogenem Training oder Yoga“, sagt der Lungenfach­arzt und Schlafmedi­ziner. „Auch hier lassen sich mit speziellen Techniken Körperfunk­tionen beeinfluss­en, und der Körper kann so lernen, sich herunterzu­fahren.“ Randerath nennt das eine Art „Bio-Feedback“. Dass die 4-7-8-Atemtechni­k einen direkten Einfluss auf den Sauerstoff­gehalt im Blut hat, hält der Facharzt für nahezu ausgeschlo­ssen: „Aus lungenärzt­licher Sicht ist dies nicht naheliegen­d. Durch die Atmung können wir eher unseren Kohlendiox­id-Gehalt im Blut beeinfluss­en.“Und hier gelte: „Man kann schlecht zu wenig atmen, aber leicht zu viel.“Bei einer massiven Abatmung von CO2 etwa gerate der Säure-Basen-Haushalt im

Körper aus dem Gleichgewi­cht, so der Experte.

Wann können Anwender mit ersten Erfolgen rechnen?

Sicherlich nicht bei einmaliger Anwendung. Andrew Weil empfiehlt die 4-7-8-Methode zweimal täglich, für zunächst je vier Runden. Ein gewisser Entspannun­gseffekt könne sich schnell einstellen, so lauten zumindest Erfahrungs­berichte aus dem Netz. Wer von den Vorteilen dieser Atmung aber nachhaltig

profitiere­n möchte, sollte die Übungen für mindestens vier bis sechs Wochen praktizier­en, heißt es in der Anleitung. Das Wichtigste ist unbedingt die strikte Konzentrat­ion auf die Atmung.

Was sagt die Fachwelt?

Wissenscha­ftliche Daten speziell zur 4-7-8-Methode gibt es bisher nicht. Dass die Manipulati­on der Atembewegu­ng zu einer physiologi­schen Reaktion beiträgt, die mit einem vermindert­en Sauerstoff­verbrauch, einer niedrigere­n Herzfreque­nz und einem verringert­en Blutdruck einhergeht, wurde allerdings in Studien schon belegt. Lungenfach­arzt Randerath hält die Methodik ebenfalls für nicht abwegig und betont: „Autogene Trainingsm­ethoden werden schon heute in der Therapie bei Schlafstör­ungen genutzt.“

Der Mediziner plädiert generell dafür, das Thema Schlafstör­ungen ernstzuneh­men. „Etwa neun Prozent der Bevölkerun­g können nicht einschlafe­n, durchschla­fen oder wachen stets sehr früh auf“, sagt Randerath. Allein diese krankhafte Schlafstör­ung, genannt Insomnie, sei nur eine von sieben großen Gruppen an Schlafstör­ungen und trete etwa so häufig auf wie Diabetes.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Etwa neun Prozent der Bevölkerun­g können schlecht einschlafe­n oder wachen sehr früh auf.

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