Die zwei Gesichter der Tessa Bergmeier
Das Model hat jetzt im „Dschungelcamp“bei RTL gesagt, sie leide an einer bipolaren Störung. Die Krankheit ist gravierend.
Das Rampenlicht ist ihr bestens bekannt, der Laufsteg ist ihr Bürgersteig. In der Öffentlichkeit und im Fernsehen hat sie sich oft in Szene gesetzt, der Name Tessa Bergmeier dürfte vielen Menschen, die im Fernsehen regelmäßig bei den Privaten vorbeischauen, geläufig sein. Nun hat sich das 33-jährige Model im Dschungelcamp einquartiert, einem Ort, der so abgeschieden ist, dass man viel Lärm machen muss, um aufzufallen.
Jedenfalls hat sie dort auf prominenter Bühne mitgeteilt, sie leide an einer bipolaren Störung; ihr sei ein offizieller Behindertenstatus bescheinigt worden, und zwar zu „62 Prozent“. Man darf nun darüber räsonieren, ob ihre Selbstoffenbarung einen therapeutischen Mehrwert besitzt (eben weil sie über diese Störung offen spricht) oder ob es eine Form der Wichtigtuerei ist. Unter TV-Stars aus der zweiten Reihe sind derlei Einlassungen ja bekannt. Auch kennt man (Stichwort „primärer und sekundärer Krankheitsgewinn“) das Mitleidheischen, das Bedürfnis nach Anteilnahme; nicht selten geschieht das unbewusst.
Eine bipolare Störung ist kein Pappenstiel, im Gegenteil: Es handelt sich um eine enorm strapaziöse psychische Störung, die mit einem hohen Rückfallrisiko verbunden ist. Auch die Suizidgefahr ist erhöht. Früher nannte man die Betroffenen manisch-depressiv, was die zwei Richtungen des massiven psychischen Pendelausschlags bezeichnete. Der Volksmund leitete davon die nur scheinbar mildere Form ab, jemand sei entweder himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt und solle sich mal ein bisschen besser im Griff haben.
Das aber gelingt bei einer ausgeprägten bipolaren Störung nie. Betroffene leiden unter einem beträchtlichen seelischen Krankheitsgefühl, es kann mit einer Ahnung von Fremdsteuerung verbunden sein. Oft tritt die Störung erstmals in der Jugend auf, was die Zahl der Episoden im Lauf des Lebens enorm erhöht. Leider ist die Diagnose nicht leicht zu stellen, weil eine bipolare Störung zahlreiche Erscheinungsformen haben kann und am Definitionsrand oft ausfranst. In der
Fachliteratur spricht man auch von einem „bipolaren Kontinuum“.
Häufig wird die Krankheit über die manische Seite diagnostiziert, sie fällt schneller auf. Man erkennt eine Manie an einer unangemessen gehobenen Stimmung, an gesteigertem Antrieb, an fahrigem und agitiertem Denken mit häufiger Ideenflucht – und an Selbstüberschätzung. Eine Manie kann psychotische Züge annehmen, muss es aber nicht. Sind die Ausprägungen ins Manische und ins Depressive (mit Niedergeschlagenheit und Antriebsarmut) ebenfalls chronisch, aber minder stark ausgeprägt, spricht man in der Medizin von einer zyklothymen Störung.
Die Forschung hat viele Türen zum Verständnis bipolarer Störungen bereits öffnen können. Ja, ein genetischer Aspekt besteht, und manche Strukturen im Gehirn haben sich verändert. Eine neuere US-amerikanische Studie zeigt, dass bipolare Patienten „signifikante Volumenreduktionen in Hippocampus, Thalamus und Amygdala“aufweisen; dies sind zentrale Hirnbereiche für Impulssteuerung, Sinneseindrücke und Emotionsverarbeitung. Oft haben die Patienten in ihrer Kindheit ein Gewalterlebnis gemacht. Tessa Bergmeier hat das vor einiger Zeit bei Instagram bestätigt: „Ich habe in meiner Kindheit leider sehr viel Gewalt erlebt, an Körper und Seele in immensem Ausmaß.“
Therapeutisch gibt es viele Möglichkeiten, die mit dem Betroffenen aber individuell ausprobiert werden müssen. Medikamente hält die Pharmakologie in breiter Schattierung für jede der beiden Seiten bereit, aber sie bringen – sofern es sich etwa um die sogenannten atypischen Antipsychotika handelt – merkliche Nebenwirkungen mit sich, zum Beispiel Gewichtszunahme, Appetitsteigerung und Entgleisungen des Fettstoffwechsels.
Psychotherapie (etwa als kognitive Verhaltenstherapie) ist bei einer bipolaren Störung unumgänglich. Sie dient vor allem der Stimmungsstabilisierung (was medikamentös etwa über Lithium erreicht werden kann) und der Vermeidung von Rückfällen. Wichtig ist bei manischen Phasen die Aufklärung von Angehörigen, Kollegen und Freunden: Sie müssen lernen, dass mögliche Verhaltensexzesse kein moralisches Versagen, sondern die Folge einer krankhaften Beeinträchtigung von Gehirnfunktionen sind.
Was Tessa Bergmeiers Auftritte im Dschungelcamp betrifft, sind die Zuschauer nun vorgewarnt.