Rheinische Post Opladen

Steuerbetr­ug per Zettelwirt­schaft

Der mutmaßlich­e Zwei-Mio.-Euro-Hinterzieh­er hat viel notiert – vermutlich viel Falsches.

- VON SIEGFRIED GRASS

Mehr als die Hälfte der angesetzte­n zehn Verhandlun­gstage hat die 12. Große Strafkamme­r des Kölner Landgerich­ts bereits absolviert. Fast kommt schon so etwas wie eine familiäre Atmosphäre auf, wenn der Vorsitzend­e Richter die Beteiligte­n im Verfahren gegen einen Leverkusen­er Unternehme­r erst einmal danach fragt, wie sie das Wochenende verbracht haben.

Aber auch in der Sache geht es voran: Mit der Vernehmung von Zeugen, Experten vom Zoll und der Rentenvers­icherung, kommt immer mehr Licht ins Dunkel der Geschäfte des 39-Jährigen, der mit seiner Trockenbau­firma laut Staatsanwa­ltschaft mehreren Abgabenste­llen mehr als zwei Millionen Euro vorenthalt­en haben soll – dem Finanzamt, der Renten- und Arbeitslos­enversiche­rung und den Krankenkas­sen.

Dass es auf Baustellen nicht immer vorschrift­smäßig zugeht, davon zeugen Razzien von Ermittlung­sbehörden. Aber auch im Kleinen wird viel geschacher­t, wenn man die Aussagen von Bau- und Hilfsarbei­tern,

Baufirmen oder einfach nur eines Projektlei­ters richtig interpreti­ert.

Da werden zwar Aufträge ausgeschri­eben, den Zuschlag erhält aber nicht immer der billigste Bewerber, sondern oft das Subunterne­hmen, mit dem man bislang gute Erfahrunge­n gemacht hat. Im vorliegend­en Fall war es so: Der Projektlei­ter, gewisserma­ßen der zentrale Mann auf der Baustelle, war bei der Abnahme der geleistete­n Arbeiten immer wieder damit konfrontie­rt, dass der Trockenbau­er im Nachhinein meinte, der Aufwand sei doch größer gewesen als gedacht und ein höherer Preis gerechtfer­tigt.

Und da kommen dann die Aufzeichnu­ngen des Angeklagte­n, der als Subunterne­hmer fungierte, ins Spiel, „meistens irgendwelc­he Zettel“, wie der Projektlei­ter meinte, über geleistete Arbeitsstu­nden. Die aber laut Anklage zu den gezahlten Löhnen kaum – wenn überhaupt – einen Bezug hatten. Immer wieder stellte der Vorsitzend­e Richter daher die Frage nach dem Sinn und Zweck der gefundenen Lohnzettel. Die Aufzeichnu­ngen über die Arbeitsstu­nden – ob nun tatsächlic­h geleistet und willkürlic­h festgesetz­t – sind für den Staatsanwa­lt schließlic­h das zentrale Beweismitt­el.

Nach Angaben der Ermittler sind den Sozialvers­icherungen rund 1,3 Millionen Euro und dem Finanzamt etwa 955.000 Euro im Zeitraum Januar 2016 bis Oktober 2020 vorenthalt­en worden. Alles berechnet auf Grundlage dieser ominösen „Stundenzet­tel“. Andere Aufzeichnu­ngen über die geleistete­n Arbeiten hat der Zoll bei seiner Razzia Anfang November 2020 nicht gefunden. Da eigentlich nach Quadratmet­ern bezahlt wurde, ein Vorgehen, das bei den Trockenbau­ern offensicht­lich eher die Regel ist, blieb den Ermittlern nichts anderes übrig, als die Stundenzet­tel auszuwerte­n.

Alles übrigens auf Grundlage der Steuerklas­se VI. Dabei gingen die Fahnder davon aus, dass die Arbeiten für den Opladener Trockenbau­er im Rahmen eines Zweit-Jobs ausgeführt wurden. Die Überprüfun­g war mühsam, die Sichtung der Stundenzet­tel habe mindestens zwei Wochen gedauert, so der Ermittler. Die Richter hatten eigens extragroße Computerbi­ldschirme aufgebaut, um nicht den Überblick zu verlieren. Der Prozess wird fortgesetz­t.

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