Mit zwei Pferden auf Deutschlandreise
Im vergangenen Sommer brach die Monheimer Abiturientin Julie Gersonde zu einer Deutschlandreise auf – zu Fuß mit zwei Packpferden. Sie erlebte ein durchweg freundliches und hilfsbereites Land. Mangels Winterquartier musste sie ihre Reise erstmal abbrechen
Am 28. Juni 2022, die Tinte auf dem Reifezeugnis war kaum getrocknet, brach Julie Gersonde auf zu ihrer besonderen Deutschlandreise – wie im Wilden Westen wollte sie mit zwei Packpferden erst den Norden Deutschlands erwandern und dort ein Winterquartier aufschlagen. Da sie auf keinem Hof eine Anstellung fand, lässt sie das Projekt nach drei Monaten erst einmal pausieren.
In Haltern am See – also jenseits des dicht besiedelten Ruhrgebiets – startete ihr Tripp, auf den sie die dreijährige Konik-Stute Eyala und die 19-jährige Ponystute Robina begleiteten. Für die ersten zehn Tage auch ihre Mutter.
Während sich der Pauschaltourist um seine Unterkunft gar keine Gedanken machen und auch beim Gepäck nur das zulässige Höchstgewicht beachten muss, wurden diese Themen für Julie zur täglichen (Über)Lebensfrage. So hatte sie tatsächlich eine Kofferwaage dabei, „um die acht Kilo Gepäck pro Pferd auf das Gramm genau auf die beiden Packtaschen zu verteilen.“Denn selbst das kleinste Ungleichgewicht führte dazu, dass die Taschen ins Rutschen kamen. Anfangs kam sie nur im Schneckentempo voran, weil sie ständig das Gepäck neu austarieren musste. Schließlich bepackte sie nur noch ein Tier und ließ das mobile Weidesystems aus Stangen und Litzen zurück, mit dem sie abends Weideplätze absteckte.
Bei der Suche nach Übernachtungsmöglichkeiten musste Julie auf Spontanität setzen. Mit der Tür ins Haus fallen, das Überraschungsmoment führte geradewegs zum Ziel, ein vorsichtiges Vortasten per Telefon zur prompten Absage. Als eine Art Selbstbehauptungstraining, um ihre natürliche Scheu zu überwinden, sprach sie Menschen auf der Straße an. Allerdings erübrigte sich selbst das oft, weil das Dreiergespann oft so viel Aufmerksamkeit erregte, dass ihr die Hilfesangebote nur so entgegeneilten.
„Dort im Norden haben viele
Menschen ein großes eingezäuntes Gartengrundstück oder eine Wiese“, berichtet sie. Reitställe oder landwirtschaftliche Betriebe wurden eher selten ihre Gastgeber. Da ihre Familie fast ausschließlich Campingurlaub macht, fiel es ihr nicht schwer, sich mit dem spartanischen Komfort ihres Zeltes zu begnügen. „Ich habe mit den Ponys auf der Weide geschlafen.“
Unangenehme oder unheimliche Begegnungen habe sie als alleinreisende Frau nicht gemacht. „Für den Fall der Fälle hatte ich Pfefferspray dabei“, sagt sie. Außerdem konnte sie sich auf den wachen Instinkt ihrer Wildpferdstute verlassen. War ihr jemand unsympathisch, reagierte sie mit angelegten Ohren und einem unwirschen Gesicht. „Besser als jeder Wachhund“, sagt Julie und lacht. Gerade am Anfang habe ihr aber die mobile Weideeinzäunung den Schlaf geraubt. „Ein Pferd ging immer durch den Zaun.“
Sie erlebte den Norden weitgehend als ein „Deutschland umsonst“: Obwohl die 20-Jährige zur Finanzierung ihrer Deutschlandreise nach dem Abi Geld verdient hatte, „wurde ich immer zum Essen eigeladen. Der Deal war: Übernachtung gegen Geschichten von meiner Reise“, berichtet sie fröhlich. Ein anfangs nur schwer zu lösendes Problem blieb: Wie Lebensmittel einkaufen, wenn der Kundenparkplatz eines Supermarktes auch auf dem
Land keine Anbindevorrichtung für Reit- und Packtiere vorhält?
Daher war Julie froh, ihre Tiere auf eingezäunten Wiesen zurücklassen zu können, während sie mit dem Familien-E-Bike ihrer Gastgeber einkaufte. „Meist Porridge, Spaghetti und Tütensuppen.“Einmal, als sie sich bei einem solchen Ausflug gerade einen Hamburger genehmigte, konnte sie sich beim besten Willen nicht mehr an den Rückweg zu ihrem Quartier erinnern. Da half ihr der GPS-Tracker, den ihre Pferde trugen.
Da eine Überfahrt nach Dänemark nicht klappte, machte sie spontan auf Norderney halt, wo es ihr erstmals ans Ersparte ging: für den Campingplatz nebst Pferdewiese. Vom hohen Norden führte ihr Weg dann am 2. Oktober – es wurde schon kalt im Zelt – zurück nach Hause. Julie Gersonde weiß noch nicht, ob sie ihre Reise fortsetzen wird oder ein Film-Studium aufnehmen soll. „Man hat auch viel Verantwortung, die man mit niemandem teilen kann, und man ist streckenweise sehr allein.“Erst zu Hause sei ihr bewusst geworden, dass sie sich oft den nötigen Schlaf verwehrt hatte.