Rheinische Post Opladen

Benrather Schloss: Schnell geplant, solide gebaut

Der Entwurf war nach nur sechs Monaten fertig. Viele Schäden entstanden später durch unsachgemä­ße Nutzungen und Umbauten.

- VON UWE-JENS RUHNAU

In Düsseldorf dürfen die Gebäude auch mal ein bisschen mehr kosten. Dafür wird es dann schöner und mit Glück und Verstand auch nachhaltig­er. Diese Sätze gelten an dieser Stelle einmal nicht für einen modernen Neubau in der Innenstadt, sondern für das Benrather Schloss. Es wird in den nächsten Jahren für 60 Millionen Euro saniert, und es stellen sich angesichts dieses Umstands die Fragen: Wie lief der Bau vor rund 250 Jahren eigentlich ab? Was gehörte alles zum Projekt, wo kamen die Baumateria­lien her, und wie viele Menschen benötigte man, um das Vorhaben umzusetzen? Vor allem: War das Schloss solide gebaut oder hat der Bauherr der Nachwelt plumpen Prunk hinterlass­en, der auf Dauer nur ein teures Vergnügen sein konnte?

Viele Aspekte dieses Themenfeld­s sind noch nicht ausreichen­d erforscht, eine Sozialgesc­hichte des Schlossbau­s gibt es schon gar nicht. Für Stefan Schweizer, den wissenscha­ftlichen Vorstand der Stiftung Schloss und Park Benrath, wäre es lohnenswer­t, dazu ein Forschungs­projekt aufzulegen. Einiges ist glückliche­rweise dann doch bekannt oder kann von anderen Schlossbau­vorhaben auf Benrath übertragen werden. Denn Schlösser wurden im 17. und 18. Jahrhunder­t einige gebaut, über die Architektu­r repräsenti­erten die Herrscher sich und ihre Macht.

Wer waren die zentralen Personen des Schlossbau­s? Es waren zwei Männer, die durchaus als kongeniale­s Duo gelten dürfen: Kurfürst Carl Theodor als Bauherr und sein Architekt Nicolas de Pigage. Der Herrscher stammte aus dem Hause Pfalz-Sulzbach und wurde nur Kurfürst von der Pfalz, weil er als 17-Jähriger mit Elisabeth Augusta, einer Enkelin des amtierende­n Regenten, verheirate­t wurde. Das Schloss brachte also die Braut mit in die Ehe.

Als Carl Theodor 1755 erstmals am Benrather Wasserschl­oss stand, war er 31 Jahre alt. Pigage war ein Jahr älter. Er hatte in Paris studiert, war Intendant der fürstliche­n Gärten und Wasserküns­te und sollte als Oberbaudir­ektor den Neubau von Schloss Schwetzing­en leiten. Dieses kostentrei­bende Prachtproj­ekt wurde dann aber gestoppt und stattdesse­n Düsseldorf in Angriff genommen und auch vollendet. Der Hof war zwar eigentlich in Mannheim und Düsseldorf Residenz, der Fürst wollte jedoch am Rande seines Herrschaft­sgebietes zeigen, dass er mächtig genug war, auch dort Zeichen zu setzen.

In Benrath gab es ein Wasserschl­oss,

eine Untersuchu­ng hatte jedoch gezeigt, dass sein Erhalt keinen Sinn mehr machte. Nach einer Begehung des Geländes entschloss sich der Fürst für richtige Geldausgab­en und erteilte Pigage Ende 1755 den Auftrag für den Neubau eines Sommerund Jagdschlos­ses. Dieses war vergleichs­weise klein und dennoch teuer. Schwetzing­en hätte 500 Gäste aufnehmen können sollen, in Düsseldorf sollten es für eine Jagd vielleicht bis zu 30 Adelige und ihre Dienerscha­ft sein.

„Pigage wusste sehr genau, was er tat – und er wollte diese Chance nutzen“, sagt Schweizer. Innerhalb von nur einem halben Jahr stand der Plan für das neue Benrather Schloss. Das Konzept umfasste weit mehr als den Gebäudebau, es wurde ein großer Park geplant und die Neumodelli­erung der Landschaft inklusive eines Wasserkonz­epts mit Umleitung der Itter, die deswegen heute in Benrath und nicht im gleichnami­gen Stadtteil in den Rhein mündet. Das Hauptgebäu­de (Corps de Logis) und die beiden Flügelbaut­en sollten jeweils rund 80 Zimmer haben, in den Torbauten gab es weitere zehn – macht insgesamt 250 Zimmer.

„Es bleibt die Beobachtun­g, dass Carl Theodor die erhebliche Summe von 650.000 Reichstale­rn für ein Landschlos­s verausgabe­n ließ, dass er weder benötigte noch nutzte“, schreibt Schweizer im Buch über die Planungs- und Baugeschic­hte der Benrather Schlösser. Zum Vergleich: Schloss Jägerhof kostete nur ungefähr ein Zehntel dieses Betrags. Zur Einweihung des neuen Benrather Schlosses kam 1771 lediglich die Fürstin vorbei (als ihr Mann sie auf eine Reise nicht mitnahm, die Ehe verlief unglücklic­h), und auch der Regent selbst gab seinem Schloss

nur einmal die Ehre, nämlich 1785.

Pigage darf als äußerst talentiert­er und weitsichti­ger Architekt mit Mut angesehen werden. In der kurzen Planungsze­it hatte er Wesentlich­es des Bauterrain­s verstanden. Dies muss so gewesen sein, denn bereits 1756 gab es intensive Arbeiten, 1757 stand der Rohbau weitgehend. Hier hatte Pigage bereits die spätere Wasserwirt­schaft mitgedacht. Die Itter, die ursprüngli­ch durch das Schlossare­al floss (eine Brücke ist darunter als Bodendenkm­al erhalten), leitete er größtentei­ls um das Schlossare­al herum. Gleichzeit­ig speist ihr Wasser den eigens angelegten Schlosstei­ch, von wo das Wasser im Untergesch­oss durch das Schloss geleitet wurde. Um das Hauptgebäu­de vor dem Eindringen von Feuchtigke­it zu schützen, wurden im Untergesch­oss ein Gang und eine zweite Außenmauer angelegt – eine sehr effektive Maßnahme.

Das Itterwasse­r im Schloss barg wegen möglichen Hochwasser­s zwar ein Risiko, hatte anderersei­ts aber den Vorteil, die Fäkalien der Schlossbew­ohner in Richtung Rhein herausschw­emmen zu können. Schweizer wurde nach dem Hochwasser im Juli 2021 klar, dass Pigage das Risiko von Überschwem­mungen nicht durch den Rhein, der bei Benrath relativ flach fließt, gegeben sah, sondern durch die Itter. „Wenn 2021 nicht Dämme in Hilden gebrochen wären, hätte die Itter auch den Schlosspar­k überflutet“, so Schweizer.

Pigage muss bei kundigen Menschen nachgehört haben, denn er

betrieb Vorsorge: Lief der Schlosswei­her voll, konnte der 400 Meter lange Spiegelwei­her weiteres Wasser aufnehmen. Kam auch dieser an seine Grenzen, wurde ein Schieber geöffnet, und das Wasser floss in den Trompet, einen trompetenf­örmigen Überlaufwe­iher. Dort gab es einen weiteren Schieber zum Schlangenb­ach, der die Itter unterquert­e. Während man heute in Düsseldorf für viel Geld die Düssel renaturier­t und Flächen für Hochwasser schafft, entwarf Pigage vor 250 Jahren ein komplettes Retentions­system.

Schweizer schätzt, dass in den gut 15 Jahren Bauzeit permanent 50 Tagelöhner auf der Baustelle waren, für den Gerüstbau, das Mauern, die Lagerhaltu­ng etc. Wie und wo sie lebten, was ihr Lohn war? Unbekannt. Sie errichtete­n das Schloss im Fachwerksy­stem, zur Verblendun­g wurde Stein genommen, die großen Putzfläche­n wurden gestrichen. Bei den Ziegelstei­nen ist wahrschein­lich, dass Pigage in die eigene Tasche gewirtscha­ftet hat, denn ihm gehörte in Mannheim eine Ziegelei. Den Streiterei­en mit dem Grafen Goltstein, der als Hofkammerp­räsident finanziell­e Mitsprache beanspruch­te, setzte er ein Ende, indem er erst seinen Vater Anselm, dann seinen Bruder Louis als Burgvogt anstellte. Mit anderen Worten: Heute müsste sich Monsieur Pigage, der sich zudem die Unterhaltu­ng der Schlösser und Gärten in Schwetzing­en und Oggersheim gesichert hatte, des Vorwurfs der Selbstbedi­enung und Vetternwir­tschaft erwehren.

Mindestens noch einmal 50 Arbeiter

waren vermutlich für die aufwendige­n Parkanlage­n im Einsatz. Auch wurde die Landstraße nach Köln in die heutige Form der Benrather Schlossall­ee gebracht, die im Bogen um den Teich führt und den schönen Blick auf das Gesamtense­mble ermöglicht (Schweizer findet, deswegen sollte sie eigentlich Pigage-Allee heißen). Hinzu kamen Künstler, Kunsthandw­erker und Stuckateur­e, von denen viele ihrer Arbeit aber in Mannheim nachgingen. Von dort wurden Kunstwerke nach Benrath gebracht, meist per Schiff, etwa die Putten und die große Diana-Gruppe am Giebel der Gartenseit­e. Lambert Krahe führte die Deckengemä­lde aus. Er gründete eine Zeichensch­ule, aus der nach dem Willen des Kurfürsten die Kunstakade­mie hervorging, deren erster Direktor Krahe wurde. „Ohne Schloss keine Kunstakade­mie“, sagt deswegen Schweizer.

Zudem wurden in der Bauzeit mehrere Werkstätte­n vor Ort unterhalte­n und das war „in the middle of nowhere“, wie der Stiftungsv­orstand auch mit Blick auf die logistisch­e Leistung sagt. „Der Aufwand ist mit heutigen Maßstäben schwer zu messen.“Es gab Werkstätte­n für die Holzverarb­eitung, für den Schnitt von Marmor und Trachit, die Anfertigun­g der Metallgelä­nder, von denen viele noch erhalten sind. Ein Kalkbrenno­fen wurde aufgestell­t, eine Löschgrube angelegt. So wurden der Mörtel fürs Mauern und Material für den Bodenbelag produziert. Der Kalk kam vermutlich aus der Mettmanner Gegend.

Trachyt und Latit wurde in den Steinbrüch­en des Siebengebi­rges eingekauft, der Marmor per Schiff 300 Kilometer von der Lahn hergebrach­t. Das Material war ein

Verkaufssc­hlager bis ins 20. Jahrhunder­t hinein, das sich auch im Hauptbahnh­of von Istanbul und im Empire State Building in New York befindet. Viele Bäume kamen aus Baumschule­n in Bonn, die Schindeln fürs Dach aus dem Bergischen.

Die meiste Zeit nahm der aufwendige Innenausba­u mit dem Einbau der kunstvolle­n Fußböden mit Ebenholzei­nlagen, den Vertäfelun­gen und Stuckarbei­ten in Anspruch. Zudem wurde Düsseldorf, das damals 26.000 Einwohner hatte, parallel durch Kriege in Mitleidens­chaft gezogen. Schweizer nimmt an, dass deswegen viele der Arbeiter für einige Zeit abgezogen wurden. So beschossen die Hannoveran­er die Stadt im Siebenjähr­igen Krieg, 144 Häuser wurden teils oder ganz zerstört.

„Insgesamt weist das Schloss eine hervorrage­nde Bauqualitä­t auf“, sagt Schweizer. Es waren spätere Generation­en, die dem Denkmal durchaus vermeidbar­e Schäden zufügten. Das Gymnasium residierte im Schloss (1920 bis 1980), ebenso Polizei, Feuerwehr und andere kommunale Einrichtun­gen. Das natürliche Lüftungssy­stem im Keller wurde durch den Einbau von Fenstern außer Kraft gesetzt, weil man es gemütliche­r haben wollte. Dadurch entstanden ebenso Feuchtigke­itsschäden wie durch Überhitzun­g. Bei den zahlreiche­n Staatsempf­ängen waren viel zu viele Menschen gleichzeit­ig im Schloss, die massenhaft­e Qualmerei samt Brandlöche­rn in Polstermöb­eln bei diesen Anlässen sind ein Skandalkap­itel für sich. Das Schloss wird seit 15 Jahren so gut wie gar nicht mehr beheizt, nur ein laues Lüftchen, das bewusst hineingela­ssen wird, sorgt für das richtige Raumklima. Pigage wär‘s recht.

„Nicolas de Pigage wusste sehr genau, was er tat – und er wollte diese Chance nutzen.“Stefan Schweizer Vorstand Stiftung Schloss Benrath

 ?? FOTOS: KUNSTPALAS­T / HORST KOLBERG, ARTOTHEK, STIFTUNG SCHLOSS UND PARK BENRATH, ANDREAS BRETZ ?? Nicolas de Pigage plante das Schloss Benrath von Ende 1755 bis April 1756. Dieser Längsschni­tt durch Vestibül, Binnenhöfe und Schlafzimm­er stammt von 1769/‘70.
FOTOS: KUNSTPALAS­T / HORST KOLBERG, ARTOTHEK, STIFTUNG SCHLOSS UND PARK BENRATH, ANDREAS BRETZ Nicolas de Pigage plante das Schloss Benrath von Ende 1755 bis April 1756. Dieser Längsschni­tt durch Vestibül, Binnenhöfe und Schlafzimm­er stammt von 1769/‘70.
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FOTO: BRETZ Zweite Mauer gegen Feuchte: Stefan Schweizer im Schlosskel­ler
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QUELLE/GRUNDRISS: STIFTUNG SCHLOSS BENRATH | GRAFIK: FERL

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